Georg Röwekamp zu Abbrüchen und bleibenden Sehnsüchten

Kirchen gezielt „ruinieren“ – warum nicht?

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Von Abbrüchen kann Georg Röwekamp Lieder singen. Der Autor unseres heutigen Gast-Kommentars lebt nah bei vielen historischen Stätten im Heiligen Land. Das inspirierte ihn zu einer Idee auch für die Kirche hierzulande.

„Gebet in Ruinen“ – so hat der aus dem Ruhrgebiet stammende Schriftsteller Ralf Rothmann vor einigen Jahren einen Band mit Gedichten betitelt. Ich muss in letzter Zeit immer wieder daran denken.

Zum einen, weil es hier im Heiligen Land, wo ich lebe, zahllose Ruinen, auch von Tempeln und Kirchen gibt – und in letzter Zeit leider auch wieder von zerstörten, zerbombten Wohnhäusern. Gebete und Gottesdienste an solchen Orten können sehr anrührend sein – und helfen, die Opfer nicht zu vergessen.

Aber auch mit Blick auf die Kirche scheint mir der Ausdruck „Gebet in Ruinen“ treffend: Wie viel ist in den letzten Jahren zusammengebrochen an falschen Bildern, wie viele Formen von Frömmigkeit passen einfach nicht mehr! Und wer dennoch versucht, weiter zu glauben und zu beten, kann sich fühlen wie in den Ruinen von etwas, das einmal Heimat war. Wehmut und Sehnsucht kommen auf.

Sterben und ein neues Morgen

Der Autor
Georg Röwekamp (* 1959) ist Theologe und Historiker und stammt aus dem Ruhrgebiet. Von 1998 bis 2016 war er Geschäftsführer und Theologischer Leiter der Biblische Reisen GmbH in Stuttgart. Seitdem ist er Repräsentant des Deutschen Vereins vom Heiligen Lande und Leiter des Pilgerhauses Tabgha am See Gennesaret.

Manchmal denke ich deshalb: Sollte man nicht einige der vielen Kirchen in Deutschland, die jetzt nicht mehr gebraucht werden oder nicht mehr unterhalten werden können, gezielt „ruinieren“? Als Ruinen würden sie passen zu unserer Zeit, würden immerhin noch erzählen von dem, was einst war – und wären vielleicht sogar ein Fingerzeig auf den, für den sie einst gebaut wurden.

Das war schon einmal so. In der Epoche der Romantik waren mittelalterliche Ruinen „in Mode“. Sie erzählten von der Vergangenheit und weckten zugleich die Sehnsucht nach etwas, das man vermisste. Ein Beispiel sind die Bilder von Caspar David Friedrich, die gerade wieder zahllose Menschen faszinieren. Manchmal stehen die Ruinen bei ihm für Sterben und winterliche Zeit, und manchmal bricht durch zerbrochene gotische Fenster das Licht eines neuen Morgens.

Leuchtende Scherben

Noch etwas: In Ruinen findet man ab und an Überreste – wie heil gebliebene Steine oder Scherben, die noch leuchten. Sie sind dann besonders kostbar. Und manchmal kann man sie nutzen beim Bau eines neuen Hauses, das besser in die Zeit passt.

Ganz ähnlich sammelt Ralf Rothmann in seinen Gedichten Stücke alter religiöser Sprache, fügt sie zusammen mit alltäglichen Sätzen, und man spürt, was es heißt: Gebet in Ruinen. Einzelne Worte und Bilder entfalten ganz neu ihre Kraft. Und manchmal, inmitten all der Trümmer, fühle ich mich – gerade noch religiös obdachlos – für einen Moment wieder heimisch oder (um mit den Worten einer anderen Dichterin zu sprechen) „geordnet in geheimnisvolle Ordnung, vorweggenommen in ein Haus aus Licht“.

In unseren Gastkommentaren schildern die Autor:innen ihre persönliche Meinung zu einem selbst gewählten Thema. Sie sind Teil der Kultur von Meinungsvielfalt in unserem Medium und ein Beitrag zu einer Kirche, deren Anliegen es ist, die Zeichen der Zeit zu erkennen.

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