Nur die allererste Folge fiel aus

Deutschlands zweitälteste TV-Sendung: Das „Wort zum Sonntag“ wird 70

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Der Komiker Otto hat es parodiert, die Toten Hosen singen ihr eigenes, und im TikTok-Zeitalter scheint es aus der Zeit gefallen. Doch das „Wort zum Sonntag“ läuft und läuft und läuft – seit 70 Jahren. Und ist (fast) nie ausgefallen.

Mit einer Panne fing alles an: Am 1. Mai 1954 sollte der katholische Geistliche Klaus Mund aus Aachen das erste „Wort zum Sonntag“ sprechen. Live. Doch ein Kabelbruch machte einen Strich durch die Rechnung. So ging der evangelische Pfarrer Walter Dittmann aus Hamburg sieben Tage später als erster Sprecher in die Geschichte ein.

In eine Erfolgsgeschichte, die wohl niemand voraussehen konnte. Nach der Tagesschau ist die kurze Sendung die zweitälteste im deutschen Fernsehen. Nach dem ersten erfolglosen Versuch „noch nie ausgefallen, mit mehr als 3.600 Folgen und bis heute 315 Sprecherinnen und Sprechern“, bilanziert Norbert Wichard von der Deutschen Bischofskonferenz.

Die Quote steigt

Und die Quote? „Steigt sogar“, betont der Geschäftsführer der Katholischen Rundfunkarbeit: „Von 7,1 auf 8,4 Prozent zwischen 2013 und 2023, obwohl die absoluten Zuschauerzahlen von knapp 1,5 auf 1,24 Millionen zurückgegangen sind.“ Sicher auch Folge davon, dass lineares Fernsehen als Ganzes immer weiter zurückgedrängt wird.

„Selbst wenn die Hälfte die drei bis vier Minuten zum Bierholen oder als Pinkelpause nutzen würde, wie ja gerne gelästert wird, sind das weit über eine halbe Million“, ergänzt Wolfgang Beck, seit 2012 einer der vier katholischen Sprecher: „Wo kann Kirche sonst so viele Menschen auf einmal erreichen?“

Glaube und Lebenshilfe

Eine „Riesenchance“, findet auch Sprecherin Lissy Eichert. Zumal es meist nicht die Kirchgänger seien, die hier mit Kirche in Berührung kämen. Das zeigten auch die zahlreichen Reaktionen, deren persönliche Beantwortung etwa die Hälfte der Zeit ausmache, die sie in das „Wort zum Sonntag“ investiere.

Dabei merke sie aktuell vor allem, dass viele sich „erschöpft und überfordert“ fühlten angesichts von Kriegen, Klimawandel und allgemeiner gesellschaftlicher Spaltung, so Eichert: „Und da haben wir doch was zu sagen mit unserer frohen Botschaft, verbunden mit Hoffnung, Ermutigung und Versöhnung.“

Ähnlich sieht es BR-Programmdirektor Kultur Björn Wilhelm in seiner Funktion als ARD-Koordinator Religion: Gerade in Zeiten, „in denen viele Menschen durch multiple Krisen verunsichert sind“, sei die Sendung besonders wichtig, sagt er: „Ich finde es großartig, wie die Sprecherinnen und Sprecher aktuelle Themen aufgreifen, Probleme benennen, es dabei aber nicht belassen: Sie machen immer wieder Mut, öffnen den Horizont, leisten im besten Sinne des Wortes Lebenshilfe.“

Viele Reaktionen

Besonders viele Reaktionen – auch aus dem Ausland – erhielt Eichert auf ihr Wort an Wladimir Putin nach dem Überfall auf die Ukraine im Februar 2022. Unvergessen bleibt ihr aber eine andere Nebenwirkung: Ein trockener Alkoholiker schrieb, er habe ihr „Wort zum Sonntag“ gesehen, als er sich eine Flasche Schnaps besorgen wollte. Dann habe er neuen Mut gefasst, nicht rückfällig zu werden. Er habe Schnaps Schnaps sein lassen und sich in eine Klinik einweisen lassen: „Ich war total von den Socken und hatte auch später nochmals Kontakt zu dem Mann.“

Doch es gibt auch andere Rückmeldungen, berichtet Pfarrer Gereon Alter, der von 2010 bis 2022 insgesamt 100-mal das „Wort zum Sonntag“ sprach: „Das ging bis zu Morddrohungen nach einem AfD-kritischen Beitrag beim Katholikentag in Münster.“ Davon habe er sich nicht ins Bockshorn jagen lassen, denn die positiven Reaktionen hätten bei weitem überwogen.

Aktuelle Neuaufnahmen und der ESC

Alter erinnert sich an einige besondere „Worte“, etwa nach dem Loveparade-Unglück in Duisburg, der Atomkatastrophe von Fukushima und mehreren Terroranschlägen, als er spontan ein aktualisiertes Wort anstelle des am Freitag aufgezeichneten aufnehmen musste: „Dafür haben wir immer Bereitschaftsdienst bis zum Samstagabend.“

Besonders waren auch seine vier Beiträge zum ESC: Im Rahmen des „Eurovision Song Contests“ läuft das „Wort zum Sonntag“ immer früher und in einem Umfeld mit deutlich mehr und anderem Publikum. Da hören dann schon mal fünf Millionen Menschen zu, so Alter: „Dafür muss ich schon sehr, sehr viele Gottesdienste in unserer Kirche feiern.“

Über Ottos Kult-Parodie auf ein geistliches Wort zu „Theo, wir fahren nach Lodz“ können Alter und Wichard schmunzeln: „Tatsächlich hängen wir oft in unserem Kirchensprech in einer nicht sehr anschlussfähigen Gedankenwelt fest. Aber das ist seitdem in den meisten Fällen doch deutlich besser geworden.“

Fast aus der Zeit gefallen

In einem sind sich alle einig: Das „Wort zum Sonntag“ sehen sie als Riesenchance und als „ganz, ganz wichtige Schnittstelle zu Bereichen der Gesellschaft, in denen die Kirchen sonst nicht oder kaum mehr vorkommen“. Und das auch noch „vorbildlich ökumenisch“ in enger Zusammenarbeit mit der evangelischen Kirche.

Dass ein Mensch am Stück drei bis vier Minuten direkt zu den Zuschauern spricht – ohne großes Drumherum, ohne schnelle Schnitte, ohne Spezialeffekte, scheint aus der Zeit gefallen. Aber vielleicht gehört gerade das zum Erfolgsrezept, vermutet ARD-Koordinator Wilhelm: „Es geht um den Inhalt, inhaltliche Tiefe und, wie es der Titel sagt, um das Wort zum Sonntag, über das die Menschen ins Nachdenken kommen können.“

Was schätzt er besonders am ARD-Dauerbrenner? „Die Überraschung. Texte, mit denen ich nicht gerechnet habe und die mich wirklich zum Nachdenken bringen. Kein ,Kessel Buntes', sondern ein Gedanke, der vertieft und, ganz wichtig, so erzählt wird, dass es alle verstehen.“

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