Neues Konzept von Minister Lauterbach liefere „erste Bausteine“

Suizidvorbeugung: Verbände fordern mehr Beratung – und mehr Zäune

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Mehr Beratung genügt nicht, um die Zahl der Suizide in Deutschland einzudämmen, finden kirchliche Verbände. Es brauche auch konkrete Maßnahmen – etwa an Brücken und Gleisen.

Kirchliche Verbände rufen die Bundesregierung auf, die Suizidvorbeugung zu verbessern. Die Caritas fordert eine „Zeitenwende“ beim Umgang mit Selbsttötungen. Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) verlangt die Vorlage eines Suizidpräventionsgesetzes bis Sommer.

Die am Donnerstag von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) vorgestellte Strategie liefere zwar wichtige Bausteine für die Stärkung von Prävention, sagt ZdK-Präsidentin Irme Stetter-Karp. Das ersetze aber keine gesetzlichen Regelungen.

Gesetzliche Regeln verlangt

Aus ZdK-Sicht ist ein Ausbau von professionellen und ehrenamtlichen Beratungs- und Hilfsangeboten wesentlich. Dazu zähle ein deutschlandweiter Präventionsdienst unter Einbezug von Telefonseelsorge, sozialpsychiatrischen Diensten und weiteren Einrichtungen, so Stetter-Karp. Menschen mit Suizidgedanken und Angehörige müssten rund um die Uhr Anlaufstellen haben, die online und telefonisch erreichbar sind.

Für Menschen mit schwersten, todbringenden Erkrankungen müsse das Palliativangebot ausgebaut werden. Stetter-Karp fordert darüber hinaus, die Beihilfe zur Selbsttötung gesetzlich zu regeln. „Ansonsten bleibt für suizidale Menschen, für ihre Ärztinnen und Ärzte sowie die Pflegenden eine fatale rechtliche Unsicherheit.“

Zäune an Brücken und Gleisen

Caritas-Präsidentin Eva Maria Welskop-Deffaa erklärt: „Eine Gesellschaft, die tatenlos wegsieht, wenn sich in Deutschland pro Tag 30 Menschen das Leben nehmen, ist nicht die Gesellschaft, in der wir leben wollen." Der Caritasverband leiste seit mehr als 20 Jahren mit der Online-Suizidpräventionsberatung U25 einen Beitrag, um jungen Menschen zu helfen. Einsamkeit sei kein Thema älterer Menschen allein.

Die Caritas-Chefin fordert die Politik zudem auf, Suizidprävention nicht auf Beratung zu verkürzen: „Es braucht mehr Zäune an Brücken und Kirchtürmen. Die Sanierung der Bahngleise muss von Umzäunungen konsequent begleitet werden. Es braucht konkrete Schutzkonzepte, die dem spontanen Suizidwunsch auch bauliche Maßnahmen entgegenstellen.“

Die katholischen Bischöfe verlangen ein verbindliches, umfassendes Suizidpräventionsgesetz. Die Strategie „reicht inhaltlich bei Weitem noch nicht aus“, sagt der Vertreter der Bischofskonferenz in Berlin, Prälat Karl Jüsten. Damit „Menschen nicht in Situationen geraten und verbleiben, in denen sie den Tod als vermeintlich kleineres Übel dem Leben vorziehen“, müssten die Palliativmedizin und Hospizarbeit gestärkt werden.

Schulung von Pflegekräften

Auch der evangelische Wohlfahrtsverband Diakonie verlangt ein verbindliches Gesetz zur Suizidvorbeugung. Um Menschen in Lebenskrisen besser zu erreichen, müssten bestehende Angebote gesichert und ausgebaut werden, sagt Präsident Rüdiger Schuch. So sei die bundesweit tätige Telefonseelsorge überlastet. Es fehlten auch spezielle Hilfsangebote etwa für Jugendliche oder sterbenskranke Menschen.

Der Malteser-Hilfsdienst fordert mehr Unterstützung für Menschen in Krankenhäusern, Hospizen und Altenheimen. Alle in der Pflege tätigen Personen müssten Basisschulungen zur Suizidprävention erhalten. In jedem Wohnbereich einer Pflegeeinrichtung solle eine Palliativ-Care-Fachkraft tätig sein. Deutschland benötige mehr niedrigschwellige Hilfen für Trauernde.

Lauterbachs Pläne

Die Zahl der Selbsttötungen ist in Deutschland zuletzt um zehn Prozent gestiegen. 2022 nahmen sich 10.119 Menschen das Leben. Die Zahl der Versuche liegt zehn Mal so hoch.

Die Nationale Suizidpräventionsstrategie von Minister Lauterbach sieht unter anderem eine bundesweite Koordinierungsstelle für Beratungs- und Kooperationsangebote vor, eine zentrale deutschlandweite Krisendienst-Notrufnummer sowie Schulungen für Pflegekräfte.

Auftrag des Bundestags

Darüber hinaus plädiert Lauterbach für „methodenbegrenzende“ Maßnahmen, also Zugangsbeschränkung zu Orten für einen Suizidversuch, darunter Gleisanlagen, Brücken und Hochhäuser.

Der Bundestag hatte im Juli mit übergroßer Mehrheit beschlossen, die Bundesregierung solle bis Ende Januar ein Konzept zur Vorbeugung und bis Ende Juni ein Suizidpräventionsgesetz vorlegen.

Update 16.45 Uhr: Aussagen von Prälat Jüsten für die Bischofskonferenz

Haben Sie Suizidgedanken? Hier gibt es Hilfe
Menschen mit Suizidgedanken können sich an die Telefonseelsorge wenden. Sie ist unter den Rufnummern 0800 / 111 0 111 und 0800 / 111 0 222 täglich rund um die Uhr erreichbar, berät kostenfrei und anonym. Der Anruf findet sich weder auf der Telefonrechnung noch in der Übersicht der Telefonverbindungen wieder. Es gibt auch eine E-Mail-Beratung. Sie läuft über die Internetseite der Telefonseelsorge und ist daher nicht in Ihren digitalen Postfächern zu finden. Hier geht es zur Telefonseelsorge.

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