100 Jahre Katholische Polizeiseelsorge im Bistum Münster

Wenn die Belastung steigt - wo die Polizeiseelsorge Beamten hilft

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Amokläufe oder ausufernde Demonstrationen – belastende Situationen gehören zum Polizeialltag. Zur Aufarbeitung gibt es im Bistum Münster seit 100 Jahren die Polizeiseelsorge. In dieser Zeit hat sich viel verändert.

Sie sind für Polizistinnen sowie Polizisten, Mitarbeitende in der Polizei und deren Angehörige da. Sei es nach belastenden Situationen, als Lehrende beispielsweise im Fach Ethik und Berufsethik oder einfach nur als Ansprechpartner: die Polizeiseelsorgerin und die -seelsorger im Bistum Münster.

Seit 1996 ist Michael Arnemann dabei. „Ich bin familiär etwas vorbelastet. Mein Vater war selbst Polizist“, merkt er gegenüber der Bischöflichen Pressestelle lächelnd an. Nach zwei Jahren als Seelsorger in einer Justizvollzugsanstalt hat der Pastoralreferent im Landesamt für Ausbildung, Fortbildung und Personalangelegenheiten der Polizei in Selm-Bork (Kreis Unna) begonnen. 2014 wechselte er an die Deutsche Hochschule der Polizei Münster. Seitdem leitet er zudem als Diözesanbeauftragter die katholische Polizeiseelsorge, die in diesen Tagen ihr 100-jähriges Jubiläum feiert.

Seit kurzem erste Frau in der Polizeiseelsorge

„Das Bistum Münster war das erste Bistum im Nordwesten, in dem es eine Polizeiseelsorge gab. In etwa zeitgleich begann die Arbeit in Bayern“, informiert Arnemann, der 2004 in seiner Dissertation zum Thema „Kirche und Polizei“ gearbeitet hat. Heute gibt es in allen Bundesländern dieses Angebot. „Das ist von den staatlichen Stellen gewünscht. Sie schätzen unseren Dienst und sind an ethischer Bildung und Werteorientierung interessiert“, sagt sich der 59-Jährige.

Durch die Lehrtätigkeiten sowohl an der Deutschen Hochschule der Polizei in Münster, an der sich Polizistinnen und Polizisten aus dem gesamten Bundesgebiet für den höheren Dienst qualifizieren können oder Fortbildungen besuchen, als auch beim Landesamt in Selm-Bork, in dem unter anderem künftige Polizeibeamte ausgebildet werden, sind die Seelsorger vielen bekannt. „Diese Vernetzung ist ein großer Vorteil“, ist er überzeugt. Zudem gebe es mit den Polizeiseelsorgern in den Kreispolizeibehörden eine starke regionale Anbindung. „Wir sind vor Ort und bieten die Möglichkeit, die Menschen zu begleiten“. Seit Januar sei übrigens mit Melanie Kolm die erste Frau in der Polizeiseelsorge des Bistums Münster dabei. Sie ist beim Landesamt in Selm-Bork und im Polizeipräsidium Münster tätig.

Verschwiegenheit und Unabhängigkeit machen Polizeiseelsorge aus

Durch die Ausbildung, in der berufsethische Perspektiven eine Rolle spielten, würden Polizeibeamte auf Einsatzsituationen vorbereitet. „Ein wesentliches Instrument ist die Sprache oder das Wort. Es geht darum, einen Täter davon abzubringen, überhaupt Gewalt anzuwenden. Das ist das erste und wesentliche Einsatzgeschehen. Dabei spielt auch die Wertehaltung eine Rolle“, erläutert Arnemann einen präventiven Ansatz.

Polizistinnen und Polizisten könnten sich auch direkt an die Seelsorgenden wenden. „Das kann nach dem Gebrauch einer Schusswaffe genauso sein wie nach besonderen Einsätzen, in denen Gewalt eine Rolle gespielt hat“, berichtet er. Innerhalb der Polizei gebe es helfende Dienste und Netzwerke, mit denen die Seelsorge auch auf Augenhöhe zusammenarbeite, aber viele Betroffene wüssten zudem die Polizeiseelsorge zu schätzen. „Wir sind zur Verschwiegenheit verpflichtet. Zudem gibt es für uns keine Berichtspflicht, denn wir sind bei der Kirche und nicht bei der Polizei angestellt“, erläutert der Pastoralreferent. Verschwiegenheit, Professionalität in diesem besonderen Berufsfeld und vor allem die Unabhängigkeit gegenüber dem Staat machten die Polizeiseelsorge aus.

Gewalt wird als Thema der Seelsorge wichtiger

Der Polizeiberuf sei ein Beruf, der Gefährdungen mit sich bringe und auf der anderen Seite stark auf das Gemeinwohl ausgerichtet sei. Er habe sich verändert. „Ein Beispiel: Bei Demonstrationen stand früher eine andere Einsatztaktik im Fokus. Heute geht es darum, das Versammlungsrecht zu schützen. Das heißt also, dass die Polizei wesentlich dafür arbeitet, dass jeder seine Meinungsfreiheit wahrnehmen und sie auch über Versammlungen repräsentieren kann“, sagt Arnemann. Auch das Thema Gewalt sei in den vergangenen zehn bis 15 Jahren ein Thema für die Polizeiseelsorge geworden. „Die Amoktaten an Schulen waren für die Polizei eine große Herausforderung. Viele Kolleginnen und Kollegen mussten in solchen Situationen agieren, ohne eine spezifische Ausbildung dafür zu haben. Das sind lebensbedrohliche Einsatzlagen, die sie unter Einsatz ihres eigenen Lebens durchführen und sie belasten können“, klärt er auf.

Polizeiseelsorge sei Seelsorge in einem Feld, in dem Religion eine neue, zeitgemäße Rolle suchen müsse. Sie setze stark auf Beratung und Begleitung. „Die beiden großen Kirchen halten nach wie vor ihre eigene Polizeiseelsorge vor. Das ist sinnvoll, um unterschiedliche Perspektiven auch in die Polizei hineinzutragen“, ist Arnemann überzeugt und fügt hinzu: „Das ist ein wirkliches Kennzeichen unserer demokratischen Polizei in der Bundesrepublik.“

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