Ein Wort, ein Bild, ein Gedanke - von Jan Frerichs OFS

Sichtweisen (18): ENTTÄUSCHUNG

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Richtig rund läuft das Leben nicht immer. Aber Dunkelzeiten nehmen uns stärker mit. Wie kann gelingen, dass es nicht dauerhaft zappenduster wird?

Achtung, was jetzt folgt, ist enttäuschend: Es gibt Dinge, die kann ich nicht ändern. Die kann ich auch nicht einfach loslassen, das wäre falsch. Und ich kann sie mir auch nicht einfach wegwünschen. Und wenn jemand behauptet, du musst es dir nur richtig und ausgiebig vom Universum wünschen, dann halte ich das für eine Illusion. Wenn das so wäre, dann gäbe es ja kein Leid mehr auf der Welt. Und noch schlimmer: Wenn das so wäre, dass alles, was ich mir nur richtig vom Universum wünsche, sich auch erfüllt, dann wären ja alle die, die krank, arm, verzweifelt, eben auf irgendeine Weise leidend sind, am Ende selbst Schuld an ihrem Leid, weil sie halt nicht genug an das Ende ihres Leidens geglaubt haben. Und das ist großer Bullshit. 

Wenn ich mir das also nicht einfach wegwünschen kann, dann stellt sich die Frage: Was kann ich dann tun? Was kann ich denn tun, wenn ich nichts mehr tun kann? Und was könnte denn trösten? Was könnte wirklich helfen, mit der Situation klarzukommen? Helfen, meine Würde und meine Autonomie zu wahren? Gibt es etwas, das mich zumindest vor Verzweiflung und Verbitterung bewahren kann?

Fragen so alt wie die Menschheit

Diese Fragen sind so alt wie die Menschheit, und die Vorstellung, irgendetwas würde irgendwann kommen und alles Leiden beseitigen, ist wahrscheinlich auch ebenfalls so alt wie die Menschheit. Aber wie wir deutlich sehen um uns herum, ist dieses Irgendetwas noch nicht dagewesen. Denn Leiden ist Alltag. Genauso wie Freude auch Alltag ist. Leben ist Freude und Leid. Das ist kein Trost, sondern vermutlich empfinden das Menschen sogar als Enttäuschung.

Und genau das, die Enttäuschung, ist ein wesentlicher Bestandteil jedes gesunden spirituellen Weges. Im wahrsten Sinne des Wortes geht es darum, die Täuschungen zu erkennen. Nicht das Leid kann einfach so beseitigt werden, aber die Täuschungen, mit denen wir leben und mit denen wir auf unser Leben blicken, die können wir loswerden.

Zerplatzte Seifenblasen

SICHTWEISEN
Ein Wort, ein Bild, ein Gedanke - das sind die “Sichtweisen”, die einmal in der Woche ins Nachdenken bringen wollen, Welten eröffnen, Leben entdecken, Gott suchen helfen. Menschenlebensnah und gottverbunden. Jeder Monat wird von einer Autorin oder einem Autoren textlich gestaltet; die Redaktion von Kirche+Leben sucht zu dem jeweiligen Stichwort frei ein Foto.

Und eine wesentliche Täuschung ist eben die, das Dunkle beseitigen zu können oder zu müssen, in welcher Form es sich auch immer zeigt. Als Verlust, Abschied, Trennung, Krankheit oder Tod. Es ist in jedem Fall enttäuschend und ernüchternd, wenn wir in eine Situation geraten, in der wir mit Dunkelheit konfrontiert sind. Wenn die Wünsche und Vorstellungen, mit denen wir unterwegs sind, zerplatzen wie Seifenblasen.

Das ist ungeheuer schmerzhaft und herausfordernd. Das ist nicht leicht. Das ist nicht einfach mal eben zu bewältigen. Und doch ist das auch Leben. Auch das gehört dazu. Und wir haben immer die Wahl, wie wir mit dem, was uns das Leben in den Rucksack legt, umgehen. Wir entscheiden, ob wir das Glas halb voll oder halb leer sehen.

Hier geht es nicht um Optimismus oder Pessimismus. Es geht nicht darum, die dunkle Seite nicht zu übertünchen und so zu tun, als wäre alles in Ordnung. Es ist nicht in Ordnung. Und wir haben die Möglichkeit, das genau so anzuerkennen, zu benennen und miteinander zu teilen. Nicht mehr. Aber auch nicht weniger. Selig die enttäuscht sind …

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