Franziskaner prägten katholische Schule - Großer Einzugsbereich

Gymnasium Petrinum in Recklinghausen wird 600 Jahre alt

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Lateinschule, Franziskaner-Gymnasium, Königliches Gymnasium – das Petrinum in Recklinghausen hat eine wechselvolle Geschichte. Als eines der ältesten Gymnasien in Nordrhein-Westfalen steht die nach dem Apostel Petrus benannte Schule in der Tradition humanistischer Bildung und christlicher Werte. Welche Bedeutung die Franziskaner für die Schule hatten und warum bis in die 1970er Jahre nur Katholiken das Lehrerkollegium bildeten, erklärt der frühere Geschichtslehrer am Petrinum, Georg Möllers.

Herr Möllers, das Petrinum wird in diesem Jahr 600 Jahre alt. Wie kann man sich den Unterricht in den ersten Jahrhunderten der Schulgeschichte vorstellen?

Das Jubiläum bezieht sich auf die älteste Erwähnung eines „rector scholarum“ der Lateinschule in einer Urkunde von 1421. Die Gebäude wird seither örtlich immer bei der Stadtkirche St. Peter dokumentiert, zuletzt der Neubau der „Turmschule“ 1797 für das 1720 zum Franziskaner-Gymnasium ausgebaute System. Die Übernahme humanistischer Reformideen im 16. Jahrhundert sind für die „schola paulina“ in Münster und die „schola Recklinckhusani“ belegt. In der Glanzzeit der Lateinschule wurden die „Abcdarier“ in Lesen und Schreiben unterrichtet, ehe vier weitere Klassen mit Latein, Deutsch, Katechismus, Rechnen, Erd- und Sternenkunde, später auch Griechisch hinzukamen. Die Dauerprobleme der Stadt waren die Finanzierung der Lehrer und damit die Personalfluktuation.

Wie haben die Franziskaner die Schule geleitet?

1627 wurde die in der Reformation zerstörte Franziskanerprovinz Saxonia wiederhergestellt. Es gab neue Franziskaner-Gymnasien bis Ende des 18. Jahrhunderts in Dorsten 1642, in Vechta, Warendorf, Geseke, Wipperfürth, Recklinghausen, Rietberg, Meppen, Osnabrück und Coesfeld. Ein Kloster in Recklinghausen war erst 1642 auf Wunsch der Bürgerschaft gegründet worden. Die Brüder waren im Dreißigjährigen Krieg 1634 aus Dorsten vertrieben worden. Sie hatten in der Pestzeit 1635/36 die Kranken und Sterbenden in Recklinghausen versorgt und standen in hohem Ansehen. 1730 genehmigte ihnen Kurfürst Clemens August, Fürstbischof unter anderem von Köln und Münster, dann offiziell die Schulgründung.

Welche Bildungsideale verfolgte die Schule?

Die verpflichtenden Gymnasial-Ordnungen 1675 und 1712 orientierten sich an den Zielen der „vera eruditio“, der wahren Bildung, und der „vera pietas“, der wahren Frömmigkeit, also einem humanistisch-christlichen Bildungsideal. Dazu gehörten natürlich Latein, deutsche und lateinische Literatur und Rhetorik, Mathematik, Geschichte, Psychologie wie auch der Katechismus als Grundlagen für ein Studium an einer Universität.

Wie war der Alltag der Lehrer zur Zeit der Franziskaner?

Die Franziskaner-Lehrer waren eingebunden in das Leben des Konvents mit bis zu 30 Mitgliedern, dessen Seelsorgebereich das Ostvest, die umliegenden Burgen und das protestantische Gebiet südlich der Emscher umfasste. Als „Bettelorden“ hatte ihnen der Erzbischof Kollekten für die Schule erlaubt, das heißt, sie mussten einen Großteil der Kosten selbst aufbringen. Recklinghausen hatte etwa 2.000 Einwohner. Die Schülerschaft kam auch von auswärts.

Wie war das Schulleben?

Profunder Kenner der Stadt- und Kirchengeschichte in Recklinghausen: Georg Möllers, ehemaliger Geschichtslehrer am Petrinum und seit 35 Jahren Vorstandsmitglied im Stadtkomitee der Katholiken. | Foto: Johannes Bernard
Georg Möllers, ehemaliger Geschichtslehrer am Petrinum und seit 35 Jahren Vorstandsmitglied im Stadtkomitee der Katholiken. | Foto: Johannes Bernard

Zur Erziehung zu „Andacht, guter Sitte und Wissenschaft“ gehörten die tägliche Messe, der lateinische Chorgesang sonntags, aber auch Literatur- und Rhetorikausbildungen, die jährlich öffentlich präsentiert wurden. Der erste Ankauf der Schule galt 1731 einer Bühne zur Präsentation der Kenntnisse und der rhetorischen Fertigkeiten sowie für die regelmäßigen Theater-Aufführungen auf dem Marktplatz. Diese Symbiose von Schule und Theater im 18. Jahrhunderts war einzigartig.

Wie „katholisch“ blieb die Höhere Schule nach der Säkularisierung?

Die Franziskaner verließen die Schule 1820. Das dann 1829 gegründete Preußische Gymnasium gehörte zu den fünf katholisch geprägten in der Provinz Westfalen neben Arnsberg, Coesfeld, Münster und Paderborn, sechs waren evangelisch geprägt. Die Mehrheit der Schüler kam aus den katholisch geprägten Gebieten Sauerland und Rheinland. Das Vest Recklinghausen gehörte bis zur Säkularisation kirchlich und politisch zum Kurfürstentum und Erzbistum Köln. Von Anfang an wurden aber auch jüdische und evangelische Schüler an die Schule geschickt und aufgenommen. Ihr Anteil stieg während der Industrialisierung. Evangelische Pfarrer und Rabbiner übernahmen ihren Religionsunterricht.

Wie wurde die Schule finanziert?

Finanzielle Grundlage war der vom letzten Kurfürsten und Erzbischof 1793 gegründete Gymnasialfonds aus kirchlichen Stiftungen, der die Lehrerbesoldung sicherstellen sollte und auch den 1797 gegründeten Neubau der „Turmschule“ für das Franziskanergymnasium - heute Sitz des Ikonen-Museums - zahlte. Dort wurde auch 1829 das Preußische Gymnasium gegründet, ehe es ab 1836/37 vollständig in das umgebaute Klostergebäude verlegt wurde. Die nunmehrige „Gymnasialkirche“ gehörte zum Schulleben.

Was hat es mit dem Gymnasialfonds auf sich?

Auf Basis der Stiftung Gymnasialfonds gab es immer auch Geistliche als Lehrer an der Schule, die auch als Rektoren der Kirche fungierten, zuletzt bis 1992 der heute in Münster lebende Professor Ulrich Lüke. Bis 1972 war auf der Basis der Stiftung des Gymnasialfonds das Kollegium durchgängig katholisch. Die „Gleichschaltung“ durch die Nationalsozialisten 1934 konnte deshalb auch nur mit drastischen Mitteln wie der Absetzung des Direktors Wilhelm Hülsen und mit der spektakulären Verhaftung und KZ-Haft des in der starken katholischen Jugend aktiven Oberstufenschülers Ludwig Grindel 1935 durchgesetzt werden.

Das 600-jährige Schuljubiläum feiert das Petrinum mit zahlreichen Veranstaltungen, Gottesdiensten, einer Buchvorstellung, Ausstellungen und einer zwölfteiligen Vortragsreihe. Referieren wird beispielsweise am 23. April der Kirchenrechtler Professor Thomas Schüller aus Münster „Zur Frage der Demokratisierung der katholischen Kirche“.

Laut Schulleiter Michael Rembiak zeigt das Jubiläum eine Schule, „die in der ausgewogenen Kommunikation und Vermittlung zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft Bildung in ihrem besten Sinne vermittelt, nämlich als Werkzeug, sich des eigenen Verstandes zu bedienen und aus der selbst verschuldeten Unmündigkeit zu befreien“. Das große Schulfest mit Gottesdienst und Festakt ist für den 4. September geplant. Die Veranstaltungen unterliegen den Bestimmungen der Corona-Schutzverordnungen und können gegebenenfalls ausfallen.

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