Pater Mauritius Wilde OSB über Glaube und Kirchenzugehörigkeit

Gehen oder bleiben? Wie Kirche und Glaube Orientierung geben können

Anzeige

Warum bleibe ich in der katholischen Kirche? Warum trete ich nicht aus? In Zeiten der Krise können diese Fragen aufkommen. Dabei sollten die Fragen, die man sich stellt, viel grundsätzlicher, radikaler sein, erklärt Pater Mauritius Wilde OSB in seinem Gastkommentar.

In Zeiten der Krise ist alles auf die Probe gestellt. Auch meine Kirchenzugehörigkeit. Deutschland ist eines der wenigen Länder, in denen man überhaupt aus der Kirche „austreten“ kann. In Wirklichkeit gehören wir ja seit der Taufe dazu, so oder so. Die Motive, die Kirche zu verlassen, sind so vielfältig wie die Menschen selbst.

Da gibt es den Zwang, wirklich sparen zu müssen; den Dissens über ihre Lehre; die Entrüstung über Dinge, die man über die Kirche gehört hat; und schwerwiegender: negative Erfahrungen, die man selbst in der Kirche gemacht hat. Viele gehen auch einfach mit dem Trend, denn eine Kirchenzugehörigkeit ist alles andere als modern. Das gilt sogar für solche, die ausführlich katholisch sozialisiert wurden und selbst keine schlechten Erfahrungen gemacht haben.

An was glaube ich?

Der Autor
Mauritius Wilde (57) stammt aus Hildesheim. 1985 trat er in die Benediktinerabtei Münsterschwarzach bei Würzburg ein. 2011 wurde er Leiter des Benediktiner-Priorats Christ the King in Schuyler/Nebraska (USA). Seit 2016 ist er Prior der Primazialabtei Sant‘ Anselmo in Rom und Rektor des gleichnamigen internationalen Kollegs.

Für alle, die bleiben, stellt sich irgendwann einmal die Frage: Und warum bleibe ich? Auch darauf gibt es viele Antworten: zum Beispiel, weil ich daran glaube, dass die Kirche sich verändern kann in eine Richtung, die ich für die richtige halte; weil ich von ihr in irgendeiner Form finanziell abhängig bin; weil ich doch – wenigstens in der Vergangenheit – einmal gute Erfahrungen in ihr gemacht habe, die ich nicht vergessen kann oder weil ich auch heute noch gute Erfahrungen mache.

Die Frage stellt sich für mich aber noch radikaler, sie geht über die konkrete Rolle, die die Kirche heute in der Gesellschaft spielt, und über ihre konkrete Verfassung und ihren kulturellen Stil hinaus. Man fragt sich: Warum glaube ich eigentlich? An was glaube ich? An wen glaube ich? Habe ich eigentlich schon einmal Gott erfahren, in einer Weise, die so eindrücklich ist, dass ich sie nicht vergessen kann?

Kirche: Ein Raum, in dem wir uns gegenseitig bestärken

Die äußere Erscheinungsform der Kirche mag und wird sich ändern, die Frage nach dem Glauben wird bleiben, sie ist die eigentliche. Denn aus einer spirituellen Erfahrung, aus einer religiösen Erfahrung, aus einer Erfahrung mit Gott kann ich nicht „austreten“. Mir scheint, es täte gut, mehr darüber miteinander zu sprechen.

Kirche ist auch ein Raum, in dem wir uns über unsere Erfahrungen austauschen können. Dazu brauchen wir keine Erlaubnis (nur unsere innere). Die Kirche könnte ein Raum sein, in der wir uns nicht schämen müssen, unsere religiöse Erfahrung anzusprechen. Sie könnte ein Raum sein, in dem wir uns gegenseitig bestärken auf unserem spirituellen Weg. Und sie darf auch ein Raum sein, wo all unsere Zweifel Platz haben.

In unseren Gastkommentaren schildern die Autor:innen ihre persönliche Meinung zu einem selbst gewählten Thema. Sie sind Teil der Kultur von Meinungsvielfalt in unserem Medium und ein Beitrag zu einer Kirche, deren Anliegen es ist, die Zeichen der Zeit zu erkennen.

Anzeige