Diskussion in der Überwasserkirche in Münster

Wie Kirchenasyl ein Beziehungs-Booster für Gemeinden sein kann

Anzeige

Warum sind Kirchenasyle bei der aktuellen europäischen Abschiebepraxis weiterhin notwendig? Wie kann die Aufnahme Schutzsuchender Gemeinden bereichern? Dazu diskutierten Praktiker in Münster.

Kirchenasyl ist keine Raketenwissenschaft!“. Pfarrer Michael Ostholthoff aus Haltern und die weiteren Gesprächs-Teilnehmenden in der Überwasserkirche in Münster wollten vor allem eines: Kirchengemeinden ermutigen, „Brot, Bett und Beziehungen“ bereitzustellen, um von Abschiebung bedrohten Flüchtlingen eine erneute Überprüfung ihrer Situation zu ermöglichen. Rund 50 Interessierte folgten der Diskussion, die im Rahmen der Foto-Ausstellung „Zuflucht geben – gemeinsam hoffen“ Innensichten zum Thema Kirchenasyl bot.

Hala Manla Hasan lebte zwei Monate in einem Kirchenasyl und konnte dort erstmals wieder ruhig schlafen nach Wochen und Monaten der Angst vor Abschiebung, so berichtete sie. Inzwischen hat sie einen Aufenthaltsstatus und arbeitet unter anderem als Dolmetscherin ehrenamtlich für ein Kirchenasyl-Netzwerk. Dass die alte christliche Tradition der Gastfreundschaft für Fremde ebenso Motivation für die Schutzgewährung ist wie die Kritik an der aktuellen europäischen Abschiebepraxis, betonten die evangelische Pfarrerin Annette Wendland aus Hopsten-Schale ebenso wie Pfarrer Michael Ostholthoff aus den jahrelangen Erfahrungen in ihren Gemeinden.

Rund 500 Mal Kirchenasyl in NRW (2023)

Weitere Informationen unter www.kirchenasyl-ms.de oder www.kirchenasyl-nrw.de

Rund 160 Menschen hat die evangelische Gemeinde im kleinen Dorf Schale nahe der niedersächsischen Grenze bisher Kirchenasyl gewährt und sich dabei verändert: „Die Menschen haben ihr Herz weit geöffnet, sie suchen Kontakte zu den Geflüchteten oder engagieren sich zum Beispiel bei Spenden“. Ähnlich erlebt es ihr katholischer Kollege aus Haltern: „Für uns hat sich das Kirchenasyl zum Beziehungs-Booster entwickelt: Wir haben Kontakt zu ganz neuen Gruppen und erleben, dass wir als Kirche, die mutig auch mal ein Risiko eingeht, eine zweite Chance bei den Menschen bekommt. Man spürt, mit welcher Botschaft wir unterwegs sind. Das ist Zukunftsgestalt von Kirche“.

Benedikt Kern, Theologe und Mitglied des Ökumenischen Netzwerkes Asyl in der Kirche, brachte Informationen jenseits der Gemeinden-Erfahrungen ins Spiel. Auf Reisen in Länder an den EU-Außengrenzen, in die Deutschland gemäß der Dublin-Verordnung Flüchtlinge rücküberführt, habe er Furchtbares gesehen: Viele dieser Länder seien überfordert, missachteten massiv die Menschenwürde und gäben den Flüchtlingen zumeist keinerlei Perspektiven. Auch zu Misshandlungen, Gefängnis und vor allem fehlender Gesundheitsfürsorge nannte er Beispiele. In Nordrhein-Westfalen, so Kern, hätten im vergangenen Jahr Kirchengemeinden, Orden oder Klostergemeinschaften rund 500 Mal Menschen in ein Kirchenasyl aufgenommen, um die Überprüfung besonderer Härtefälle zu ermöglichen und eine Abschiebung zu verhindern.

Kirchenasyl nichts Illegales

Viele der Zuhörenden hatten einander vor Beginn herzlich begrüßt – Indiz offenbar dafür, dass hier Aktive aus der Kirchenasylarbeit in Münster und Umgebung zusammenkamen. So fiel erst in der Zuhörer-Fragerunde des von Julia Lis vom Institut für Theologie und Politik umsichtig geleiteten Gesprächs auf, dass grundsätzliches Wissen über Hintergründe und vor allem die praktische Durchführung – Unterbringung, Versorgung, Ausgang, Finanzierung etc. – nicht bei allen Anwesenden vorauszusetzen war.

Die Antworten der „Praktiker“ auf dem Podium sorgten dann noch einmal für Klarheit: Kirchenasyl sei nichts Illegales und bedeute vor allem kein „Untertauchen“ der Schutzsuchenden oder gar einen rechtsfreien Raum. Auf die transparente Kommunikation mit den zuständigen Behörden wurde mehrfach hingewiesen. Auch wird für jeden Geflüchteten ein 40- bis 50-seitiges Dossier angefertigt, in dem der Härtefall genau beschrieben und das den Behörden vorgelegt wird.

Appell: Gemeinden sollen Kirchenasyl prüfen

Um auch weiterhin Lösungen für schutzsuchende Menschen zu ermöglichen, luden alle Podiumsteilnehmer ein, in den Pfarrgemeinden die Möglichkeiten für ein eventuelles Kirchenasyl auszuloten. „Holen Sie Experten in die Gremien, wenden Sie sich an Gemeinde, in denen solche Schutzräume bestehen, informieren Sie sich im Internet und über Broschüren“.

Anzeige