Was die Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen für uns alle bedeuten

Warum ist AfD-Wählen ungesund, Franzi von Kempis?

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Bei den Wahlen am Sonntag in Thüringen und Sachsen könnte die AfD stark zulegen. Die Journalistin Franzi von Kempis beobachtet die Partei schon lange. Wie gefährlich wird sie? Wie in Gemeinden mit solchen Positionen umgehen? Analyse und Tipps im Kirche+Leben-Interview.

Umfragen sehen die AfD bei den Landtagswahlen sowohl in Thüringen als auch in Sachsen bei 30 Prozent – in Thüringen deutlich vor der CDU auf Platz 1. Für wie gefährlich halten Sie dieses Erstarken rechtspopulistischer, teils auch rechtsextremer Politik?

Ich halte das für immens gefährlich. Wir leben in Zeiten, in denen CSD-Demos von rechten Gegendemos bedroht werden; Politiker:innen werden angegriffen, während sie Wahlplakate auf der Straße aufhängen und eine vom Verfassungsschutz als rechtsextrem bewertete Partei könnte stärkste politische Kraft werden. Eine Partei wie die AfD kann nicht nur die gesellschaftliche Stimmung verändern – was sie schon heute tut -, sondern sie kann potenziell mit mehr Macht auch in Bundesländern politische Institutionen und Machtmittel für ihre Ziele einsetzen. Das ist bedrohlich.

Haben wir gesellschaftlich zu wenig getan? Wie konnte es geschehen, dass wir plötzlich in einer solchen Situation sind?

Wir sind nicht plötzlich in dieser Situation. In einem meiner ersten Videos 2017 habe ich die damaligen Landtagswahlprogramme der AfD für die jeweiligen Bundesländer analysiert. Ich hatte gedacht, es reicht, mit einer sarkastisch erhobenen Augenbraue diese Programme zu zerpflücken, nach dem Motto: Wer würde die schon wählen? Man hätte früher etwas tun können, keine Frage. Aber ich bin keine Politikerin, und umso mehr überzeugt, dass wir alle uns die Frage stellen können: Was können wir alle tun, um die Demokratie zu schützen, vor allem aber um Menschen zu schützen, die von diesen Machtfantasien aktiv bedroht sind? Was können wir tun, jeden Tag – im Job, in der Schule, in der Kirchengemeinde?

Was, wenn Björn Höcke, den unser NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst als Nazi bezeichnet, Ministerpräsident von Thüringen wird?

Noch kann keiner genau sagen, wie Thüringen wählen wird und was dann passiert. Expert:innen glauben nicht, dass Höcke wirklich Ministerpräsident wird. Klar ist: Ein Ministerpräsident hat politischen Einfluss auf viele Bereiche in der Landespolitik – zum Beispiel auf die Bildung und welche Lehrbücher im Unterricht eingesetzt werden. Ebenso so bei Themen wie Inklusion, Rundfunkstaatsvertrag und bei der Flüchtlingshilfe auf Landesebene. Selbst ohne Regierungsverantwortung könnte die AfD mit einer Sperrminorität Abstimmungen blockieren, also das, wofür es eine Zweidrittelmehrheit braucht – etwa bei Verfassungsänderungen, bei der Auflösung des Landtags, bei der Bestellung des Rechnungshofpräsidenten. Traditionell schlägt die Partei, die stärkste Kraft wird, auch eine:n Landtagspräsident:in vor. Diese Person leitet die Landtagssitzungen, hat Hausrecht und auch Personalhoheit über die Landtagsverwaltung. Also eine sehr wichtige Position.

Welche Auswirkungen werden die AfD-Erfolge für die Bundesrepublik insgesamt haben?

Im Gespräch
Franzi von Kempis ist Kommunikationsberaterin & Journalistin. In ihrem Buch „Anleitung zum Widerspruch“ liefert sie Argumente gegen Vorurteile und Populismus. Sie schreibt einen wöchentlichen Newsletter namens „Adé AfD“, der Informationen zum Umgang mit und für die Kommunikationsstrategien gegen Rechtsextremismus liefert. Als „Besorgte Bürgerin“ kommentierte sie in viralen Videos gesellschaftspolitische Ereignisse. Von Kempis studierte Geschichte und katholische Theologie, ihr erstes Praktikum führte sie zu Radio Vatikan.

Ich frage mich, wie die anderen Bundesländer damit umgehen würden. Was würde der Verfassungsschutz machen, wenn ein AfD-Politiker Ministerpräsident wäre? Was würde die Ministerpräsidentenkonferenz machen, was andere übergreifende Gremien? Und wir alle müssen uns die Frage stellen: Wie schützen wir demokratische Institutionen, wenn autoritäre Parteien staatliche Machtmittel in die Hand bekommen? Denn dann fühlen sich auch alle anderen rechtsextremen Gruppierungen ermächtigt. Das hat Auswirkungen für uns alle.

Die katholischen Bischöfe – ausdrücklich auch in Ostdeutschland – haben sich ziemlich deutlich gegen die AfD positioniert, viele Laienverbände ebenfalls. Was bringt das?

Das bringt immens viel! Ich bin selbst katholisch und überzeugt: Die katholische Kirche hat – im Guten wie im Schlechten – nach wie vor große Strahlkraft und Einfluss in die Gesellschaft. Dass sie sich gegen eine Partei positioniert, die nicht nur in ihrem Programm menschenfeindliche Positionen vertritt, sondern auch christliche Werte missbraucht, ist das Mindeste – und so haben sich die Bischöfe ja auch klar positioniert. Es bringt aber auch etwas im konkreten Alltag vieler Christinnen und Christen. Nehmen wir an, meine Tante ist katholisch, ginge regelmäßig in die Kirche und fühlt sich der AfD nah, weil sie eine gewisse Überschneidung bei manchen Themen sieht. Und nehmen wir an, ich zerstreite mich ständig mit ihr darüber. Statt direkt über die AfD mit ihr zu sprechen, kann ich jetzt über die Erklärung der Bischöfe sprechen – weil sie die Bischöfe in ihrer Aussage vielleicht nochmal ganz anders wahrnimmt als mich. So wird auch deutlicher: Was vertritt die Kirche wirklich – und was macht die AfD daraus?

Nicht zuletzt im Bistum Münster wird darüber nachgedacht, wie man mit Ehrenamtlichen in den Gemeinden umgeht, die mit AfD-Positionen sympathisieren oder sich sogar in der Partei engagieren. Manche sprechen sich für eine Unvereinbarkeitsformel aus. Ihr Rat?

Das ist nicht leicht. Menschen haben eine Freiheit, sich zu entscheiden. Aber wir können klar darstellen, dass die AfD ganze Menschengruppen ausgrenzt. Die katholische Kirche macht das genaue Gegenteil – und auch das katholische Ehrenamt. Es gibt Überzeugungen, auch in der katholischen Soziallehre, die stehen fest: Wir setzen uns ein für die Schwachen, für Inklusion, für den Wert jedes Menschenlebens. Da müssen wir Grenzen ziehen und diese sehr klar aufzeigen, auch im Ehrenamt! So manche Auseinandersetzung wird aber natürlich auch durch Haltung und Lehre der Kirche selbst komplizierter. Zum Beispiel die Position der katholischen Kirche in Sachen Homosexualität. Neben rechtlich korrekten Regeln und Vorgehensweisen brauchen die Menschen in den Gemeinden aber vor allem klare Unterstützung, wie sie mit Situationen vor Ort konkret umgehen können, zum Beispiel mit Auseinandersetzungen zu AfD-nahen Positionen und Aussagen. Da gibt es einen hohen Kommunikationsbedarf!

Eine Ihrer Thesen lautet: AfD zu wählen, ist ungesund. Warum?

Das ist ehrlicherweise das Ergebnis der Studie eines sehr klugen Forschungsteams, und zwar des Berliner Wissenschaftszentrums für Sozialforschung (WZB). Konkret heißt es laut Studie, dass AfD-Anhänger nicht vor, sondern nach der Wahl unglücklicher werden. Es geht also weniger um medizinische Veränderungen. Diese Wähler sind jedenfalls nach der Wahl unzufriedener als vorher, weil die Entscheidung für die AfD die Sicht auf das persönliche Leben und die finanzielle Situation beeinflusst. Die Forschenden vermuten, dass das an der negativen Rhetorik, den geschürten Ängsten liegt, mit der rechtspopulistische Parteien ihre Wählerschaft überschwemmen. Ein mögliches Rezept dagegen schlagen die Forschenden vor: Sich von der AfD abzuwenden – und dann eine Verbesserung in der eigenen Zufriedenheit festzustellen.

Die Einspruchs-Formel
5 Tipps von Franzi von Kempis für den Umgang mit rechtsextremen Aussagen
1. Situation klären! Ist eine betroffene Person dabei, wenn eine menschenfeindliche Position fällt? Dann gilt es, Solidarität zu zeigen – und die Person entscheiden zu lassen, wie diese aussehen kann. Wichtig: Widerspruch ist unverzichtbar, menschenfeindliche Positionen dürfen nicht unwidersprochen bleiben.
2. Vorbereiten! Nicht alle von uns können aus dem Effeff Widerspruch leisten. Aber wir können uns einen Satz parat legen und den einüben, vielleicht sogar vor dem Spiegel: „Das kann ich so nicht stehen lassen. Das hört sich für mich menschenverachtend an.“
3. Was will ich erreichen? Will ich eine rote Linie ziehen oder will ich ausführlicher diskutieren?
4. Rote Linie festlegen – für sich und das Gegenüber! Kleine Hilfe: Zwischen Aussage und Person trennen. Statt „Du bist rassistisch“, lieber: „Deine Aussage ist rassistisch.“ Das gibt dem Gegenüber die Chance, sich zu korrigieren.
5. Allianzen suchen. Wenn eine Person immer wieder Sprüche fallen lässt, hilft es, sich Verbündete (ob im Freundeskreis, im Job oder in der Familie) zu suchen: „Wollen wir das beim nächsten Mal gemeinsam ansprechen?“

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