Zum neuen Schmerzensgeldprozess gegen das Erzbistum Köln

Wann ist ein Priester „im Dienst“ – wann haftet die Kirche für Taten?

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Zum zweiten Mal fordert ein Missbrauchsopfer ein hohes Schmerzensgeld vom Erzbistum Köln. Das Gericht lässt aber erkennen, es sehe womöglich keine Haftung des Erzbistums für die Taten des Priesters. Experten kritisieren diese Sicht scharf.

Im Schmerzensgeldprozess einer Missbrauchs-Betroffenen gegen das Erzbistum Köln gibt es massive Kritik an der Haltung des Landgerichts Köln. "Würde die Auffassung des Richters Schule machen, dann hätten Betroffene in Deutschland keine zivilrechtliche Chance", sagt Thomas Schüller, Professor für Kirchenrecht an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster, der “Kölnischen Rundschau”.

Auch die Kirchenrechtler Norbert Lüdecke und Bernhard Sven Anuth kritisieren die Andeutung des Richters, das Erzbistum müsse vermutlich nicht für Missbrauchstaten eines Priesters haften, weil er sie nicht in der Ausübung seines Dienstes begangen habe.

Annäherung im Priesterdienst - Missbrauch als Privatmann?

Das ganze Tatgeschehen sei nur möglich, wo Priester ihre Rolle als Seelsorger ausnützten, "um die Opfer körperlich und geistig verfügbar zu machen", kritisiert Schüller. Es sei "realitätsfern und pervers", davon auszugehen, dass ein Priester Opfer zwar im dienstlichen Kontext rekrutiere, sie dann aber privat vergewaltige.

Eberhard Luetjohann, Anwalt der Klägerin, sagt der Zeitung, die Argumentation des Gerichts laufe auf einen "Freibrief" für die Kirche hinaus: "Dann können Priester eigentlich machen, was sie wollen - die Kirche ist immer außen vor."

Kirchenrechtler sieht Bischof in der Überwachungspflicht

Der emeritierte Bonner Kirchenrechtler Lüdecke, der bei der Verhandlung als Zuschauer im Gerichtssaal saß, sagt dem "Kölner Stadt-Anzeiger", das Gericht ignoriere entscheidende Punkte: "Als Kleriker übernimmt der Priester die rechtliche Verpflichtung, sein Leben auf eine bestimmte Weise zu führen." Sexueller Missbrauch sei fraglos ein Verstoß gegen die priesterlichen Pflichten. Zur Amtspflicht eines Bischofs wiederum gehöre es, die Lebensführung seiner Priester zu überwachen und auf die Einhaltung ihrer Pflichten zu achten.

Der als sachverständiger Zeuge anwesende Tübinger Kirchenrechtler Bernhard Sven Anuth sprach von einem "völlig schrägen" Ansatz" des Gerichts: "Wenn der Richter meint, als Vertreter des Staates über das kirchliche Amtsverständnis urteilen zu können, ist das ein Verstoß gegen die Neutralitätspflicht des Staates." Die Betroffenen-Initiative "Eckiger Tisch" hatte bereits am Tag der Gerichtsverhandlung eine "Verhöhnung der Opfer" beklagt.

Die bisherige Sicht des Richters

Das Gericht will seine Entscheidung am 17. September bekannt geben. Die 57-jährige Klägerin war Pflegekind eines Priesters und wurde von ihm mehrfach vergewaltigt. Sie klagt auf ein Schmerzensgeld von rund 850.000 Euro. Die Kirche hatte der Frau in ihrem freiwilligen System zur Anerkennung des Leids 70.000 Euro gezahlt.

Am Dienstag ging es vor allem darum, ob die Amtshaftung des Erzbistums nicht nur den dienstlichen, sondern auch den privaten Bereich eines Priesters umfasst. Dabei ließ der Richter erkennen, das Erzbistum sei vermutlich nur dann als Dienstherr für Taten eines Priesters zu belangen, wenn diese im Rahmen seines Dienstes ausgeführt wurden.

Im konkreten Fall habe nicht das Erzbistum dem Priester die Obhut über die Klägerin und ein weiteres Pflegekind überlassen, sondern das Jugendamt. Zudem erstrecke sich die allgemeine Kontrollpflicht des Bistums auf dienstliche Belange seiner Priester, nicht aber auf Privates. Die Anwälte der Frau argumentieren dagegen, ein Priester sei nach katholischem Selbstverständnis immer im Dienst.

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