Sigrid Schmeddes über Anspruch auf betreute Grundschule ab 2026

Finanznot beim Offenen Ganztag: Caritas-Expertin stellt konkrete Forderung

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Alle Grundschulkinder haben bald Anspruch auf einen Platz in der Offenen Ganztagsschule (OGS). Auf die freien Träger kommen Kosten zu, die nicht ausreichend refinanziert werden, so die Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege in Nordrhein-Westfalen. Über Anspruch und Finanzierungslücken der OGS sprach Kirche+Leben mit Sigrid Schmeddes. Sie ist Mitarbeiterin der Kinder-, Jugend- und Familienhilfe im Diözesancaritasverband Münster, der 15.000 Kinder im Offenen Ganztag betreut.

Frau Schmeddes, wie sollte aus Ihrer Sicht das Finanzierungsmodell der Offenen Ganztagsschule (OGS) aussehen?

Auskömmlich. „Gute OGS darf keine Glückssache sein“, so hieß eine Kampagne aus dem Jahr 2017, die an Aktualität nichts verloren hat. Auch im Rahmen der Aktion der Freien Wohlfahrtspflege „NRW bleib sozial“ haben wir auf die aktuelle Lage der OGS aufmerksam gemacht. Wir übernehmen im Auftrag für die Städte und Kommunen das Angebot der OGS und sind verantwortlich für gute Bildungs- und Betreuungsmöglichkeiten. Dafür braucht es eine auskömmliche Finanzierung. Unser Finanzierungsmodell zeigt deutlich, dass wir das Doppelte der bisherigen Finanzierung benötigen, um auskömmlich OGS anbieten zu können.

Also wird wiederum über das Geld gestritten?

Es ist interessant, dass die Finanzierungsfrage als erstes gestellt wird, nicht der Nutzen und die Wichtigkeit für die Bildung unserer Kinder. Dies müsste in der Öffentlichkeit viel mehr im Fokus stehen. Viele Träger wie die Caritas und Diakonie sind Gott sei Dank tarifgebunden. Die Mitarbeitenden sollen und müssen ein gutes Gehalt für ihre Arbeit bekommen. Aber nicht nur die Gehälter, sondern Miete, Material, Essen etc. sind um ein Vielfaches gestiegen. Das kostet. Verwunderlich ist auch, dass OGS in kommunaler Trägerschaft ihre Mitarbeitenden tarifgebunden bezahlen. Geben sie die OGS in freie Trägerschaft ab, wird dies nicht refinanziert. Darüber hinaus wird über das Absenken von ohnehin nicht vorhandenen Standards gesprochen.

Was befürchten Sie für die Schülerinnen und Schüler? Was kann auf die Eltern zukommen?

Die OGS gibt es seit 2003 - immer im Projektstatus. Alle Träger haben in diesen Jahren unglaublich viel Energie und Ideenreichtum in die Weiterentwicklung des außerschulischen Angebots gelegt und sich dafür eingesetzt, dass mit einem Rechtsanspruch auch einheitliche Standards kommen wie Gruppengröße, Personal und Raumgröße. Alles Standards, über die im Kita-Bereich keiner mehr spricht, weil sie wichtig und selbstverständlich sind, um Kinder im schulischen Kontext gut zu begleiten. Je nach Finanzlage der einzelnen Städte und Kommunen werden OGS gut oder schlecht ausgestattet. Je nach Finanzlage ist eine OGS also ein gutes Bildungs- und Betreuungsangebot oder eine schlechte Betreuungsmöglichkeit, die den Bedürfnissen und schulischen Anforderungen der Kinder nicht gerecht werden kann.

Was bedeutet das für den Bildungsauftrag?

Da zum Teil Stunden gekürzt werden müssen, kann der Bildungsauftrag nicht aufrechterhalten werden. Dies hat zur Folge, dass AGs ausfallen, Hausaufgaben nicht adäquat begleitet werden können, Schließungen wegen Personalmangel drohen, mehr Kinder auf engem Raum untergebracht werden und so weiter. Besonders dramatisch ist dies im Ganztag an Förderschulen, die durch die Landschaftsverbände finanziert sind und keinen Verhandlungsspielraum möglich machen. Für diese Kinder wäre eine Stundenreduzierung fatal.

Was passiert, wenn der Betreuungsbedarf ständig wächst und es demnächst zu einem Rechtsanspruch auf einen OGS-Platz kommt?

Der Rechtsanspruch gilt ab dem Schuljahr 2026/27 ab der ersten Klasse. Der Betreuungsbedarf steigt auch ohne Rechtsanspruch und ist seit Jahren bekannt. In Nordrhein-Westfalen gibt es bereits eine relativ hohe Anzahl an Betreuungsplätzen, die auf jeden Fall weiter steigen muss. Die Eltern benötigen aber nicht nur Betreuung, denn wer möchte seinem Kind zumuten, deutlich nach 16 Uhr zuhause noch schulische Aufgaben machen zu müssen?

Wie sieht das konkret aus?

Die Eltern buchen ein Betreuungs- und Bildungsangebot. Zurzeit ist eine der wichtigen Aufgaben, die nicht qualifizierten Mitarbeitenden aus der OGS die Möglichkeit der Weiterbildung anzubieten, um eine gute Basis für die ansteigende Kinderzahl zu haben und Mitarbeitende zu binden. Vor diesem Hintergrund, dass Städte und Kommunen die Trägerschaft von OGS zum Teil jährlich ausschreiben, häufig mit dem Hintergrund zu sparen und nicht die Qualität zu verbessern, ist eine Verlässlichkeit für Kinder, Mitarbeitende und Eltern nicht gegeben. Diese Ausschreibepraxis würde im Zusammenhang mit den Kitas keine Kommune machen. Der Landespolitik ist das Problem seit Langem bekannt.

Finanzierungslücken im Offenen Ganztag in NRW
Wegen kräftiger Tarifsteigerungen für ihre Beschäftigten geraten viele Träger der Offenen Ganztagsschulen (OGS) in Geldnot. Mitunter bleiben sie auf Mehrkosten im sechsstelligen Bereich sitzen. Die Träger befürchten, ihre Betreuungszeiten verkürzen oder sogar schließen zu müssen. Mit dem Ganztagsförderungsgesetz (GaFöG) hatte der Bund einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung im Primarbereich eingeführt, der zum 1. August 2026 zunächst für alle Kinder der ersten Klassenstufe in Kraft treten wird. Der Anspruch soll in den Folgejahren um je eine Klassenstufe ausgeweitet werden, damit ab August 2029 jedes Grundschulkind der Klassenstufen 1 bis 4 einen Anspruch auf ganztägige Betreuung hat. Für die Ausgestaltung sind die Bundesländer zuständig. Die Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege in Nordrhein-Westfalen, wozu auch die Caritasverbände gehören, fordert eine gesetzliche Festlegung von Mindeststandards und eine auskömmliche Finanzierung. Sie kritisiert, dass die Finanzierungspauschalen bei Weitem nicht ausreichen, um ein qualitativ und fachlich angemessenes Angebot vorzuhalten. Personalmangel und Tarifsteigerungen würden die Träger in voller Härte treffen.

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