Johannes Norpoth zur Kritik an der olympischen Eröffnungsfeier

Der nächste DNA-Defekt: Die katholische Wahrnehmungsstörung!

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Welch stimmungsvolle Eröffnungsfeier haben wir in Paris erlebt – ein grandioser Mix aus Kunst, Kultur und französischem Frohsinn. Doch dann brach in der katholischen Welt ein Sturm der Entrüstung aus. Johannes Norpoth erklärt in seinem Gastkommentar, warum er jene Kritik als maß- und haltlos empfindet.

Was für ein rauschendes Fest. Selbst der Regen konnte der Stimmung nichts anhaben: Alle feierten an der Seine die Eröffnung der olympischen Sommerspiele in Paris. Ein Fest über Grenzen und Meinungen hinweg. Und am Schluss eine Hommage an die Liebe: „Hymne à l'amour“.

Kaum hatte Céline Dion grandios den letzten Takt dieser Hymne in das abendliche Paris geschmettert, da fing sie schon an, eine nicht enden wollende „Tour de Critique“ an der künstlerischen Darstellung eines Festes der Götter. Eine Darstellung, in der Kritiker eine Persiflage auf da Vincis letztes Abendmahl entdeckt haben wollen. Eine Szene, die nicht nur religiöse Gefühle verletze, sondern gar das komplette Christentum verhöhne.

Nun liegt eine Eigenheit der künstlerischen Freiheit darin, zu überzeichnen, zu provozieren. Das IOC reagierte prompt und verwies auf die künstlerische Freiheit. Die künstlerische Leitung selbst machte deutlich: Weder das Christentum sei verhöhnt worden, noch war es Absicht, religiöse Gefühle zu verletzen. Auch das letzte Abendmahl sei eben nicht Vorlage für den in der Kritik stehenden Teil der Show gewesen – und selbst wenn: an Jesus‘ Tisch haben ausnahmslos alle Platz!

Bischöfe verlassen Rahmen der Verhältnismäßigkeit

Der Autor:
Johannes Norpoth, 57 Jahre alt, Soziologe und Unternehmensberater, Mitglied im Zentralkomitee der deutschen Katholiken und im Synodalem Ausschuss.

Ungeachtet dessen geht das schäbige Spiel weiter: Da werden die medialen Kanäle wortgewaltig bespielt. Da sind sich Bischöfe nicht zu schade, lautstark gegen diesen vermeintlich das Christentum in seiner Existenz bedrohenden Angriff ins Feld zu ziehen. Dabei scheint ihnen völlig zu entgehen: Nicht nur den Rahmen der Verhältnismäßigkeit haben sie allesamt bereits verlassen, sie geben sich in Anbetracht des Anlasses schlicht der Lächerlichkeit preis.

Was würden wohl Betroffene, Opfer, Überlebende der massenhaften sexuellen Gewalt in der Kirche dafür geben, wenn wegen genau dieser Grausamkeiten endlich ein solcher Sturm der Entrüstung durch die katholische Welt wehen würde, wie man es gerade feststellen muss. Stattdessen werden wir wieder erleben müssen, wie Würdenträger, Verantwortliche und vor allem die vermeintlichen Hüter des wahren katholischen Glaubens abtauchen, sich wegducken, gar verharmlosen. Da verstummt dann die ganze katholische Kampfpresse samt ihrer multimedialen Propagandakanäle und die in deren Gefolge segelnde versammelten Erzkonservative, egal ob sie aus Würzburg, Neuss oder Rom senden. Da schwurbeln dann die jetzt tönenden Bischöfe wieder wachsweich herum. Von der kraftvollen Diktion bleibt zumeist nur ein Haufen beschämender Worthülsen über.

Kritik an der olympischen Eröffnung maß- und haltlos

Was würde es für die queere Community bedeuten, wenn ihnen mit der gleichen Intensität Offenheit und Empathie entgegengebracht würde? Wenn sie nicht wieder und wieder aufgrund von Unkenntnis und Ignoranz verletzt würden? Wenn Ihnen keine bodenlose, überzogene Kritik und teilweise blanker Hass wie jetzt gerade wieder entgegenschlägt?

Mir scheint: Die DNA der katholischen Kirche hat nicht nur einen massiven Defekt in Fragen von Sexualität und sexualisierter Gewalt. Mindestens noch einen weiteren gibt es: eine ganz spezifisch katholische Wahrnehmungsstörung: An viel zu vielen Stellen werden Oberflächlichkeiten, gar Nichtigkeiten in das Zentrum gerückt und damit die Sicht auf die wirklich existenzbedrohenden Probleme und die notwendigen Perspektiven zur Problemlösung verstellt. Die maß- und haltlose Kritik an der olympischen Eröffnungsfeier zeigt das doch nur allzu deutlich – leider!

In unseren Gastkommentaren schildern die Autor:innen ihre persönliche Meinung zu einem selbst gewählten Thema. Sie sind Teil der Kultur von Meinungsvielfalt in unserem Medium und ein Beitrag zu einer Kirche, deren Anliegen es ist, die Zeichen der Zeit zu erkennen.

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