Interview über Gründe für den Mangel, die Widerspruchslösung - und Bedenken

Arzt zu Organspende-Mangel: „Wir gehen an die Grenze des Machbaren“

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Bernhard Krämer, Direktor der V. Medizinischen Klinik der Universitätsmedizin Mannheim und Professor für Innere Medizin, hat tausende Organtransplantationen begleitet. Er spricht über Gründe für den Organspende-Mangel, sagt, warum eine Widerspruchslösung helfen würde - und reagiert auf Bedenken.

Herr Professor Krämer, warum werden in Deutschland so wenig Organe gespendet?

Die Menschen in Deutschland haben zum Teil komplett falsche Vorstellungen davon, was eine Organspende bedeutet. Auch ist der Altruismus hierzulande nicht so verbreitet, dass ich etwas tue, um einem anderen Menschen zu helfen. In den USA beispielsweise ist das viel selbstverständlicher.

Welche Bedenken haben die Menschen?

Es gibt große ethische Vorbehalte, dass die Selbstbestimmung des Verstorbenen gefährdet sein könnte. Dabei ist Voraussetzung, dass die Person zu Lebzeiten einer Spende zugestimmt hat oder dass Angehörige aus Gesprächen eine positive Einstellung des Verstorbenen zur Organspende ableiten können. Viele fürchten auch, Organe könnten entnommen werden, wenn der Patient noch nicht tot ist.

Ist das ausgeschlossen?

Das ist absolut ausgeschlossen. In Deutschland müssen zwei Ärzte unabhängig voneinander den Hirntod feststellen. Fehldiagnosen sind nicht möglich.

Seit vielen Jahren wird diskutiert, ob eine Widerspruchsregelung das Problem in Deutschland lösen könnte. Dann wären alle Menschen Organspender, die nicht aktiv widersprechen. Was halten Sie davon?

Das wäre ein Schritt in die richtige Richtung. Dann müssten die Menschen aktiv werden, wenn sie keine Organe spenden wollen. Jetzt müssen sie aktiv werden und sich einen Ausweis besorgen und ausfüllen, wenn sie Organspender werden möchten. Das reicht aber nicht, auch die Hürden in den Köpfen müssen beseitigt werden.

Warum hakt es bei der Widerspruchsregelung?

Es gibt Medizinethiker, die argumentieren, dass man von den Menschen nicht verlangen könnte, sich mit Sterben und Tod zu befassen, wenn sie das nicht wollten. Bei einer Widerspruchslösung wäre das aber notwendig.

Wer sich zu Lebzeiten nicht selbst zur Organspende erklärt, belastet Angehörige mit der Entscheidung.

Die allermeisten Angehörigen entscheiden sich gegen eine Organspende, wenn sie nicht ganz sicher sind, dass sich der Verstorbene dafür ausgesprochen hat. Umso wichtiger ist es, sich an guten Tagen über das Thema zu unterhalten und eine Entscheidung zu treffen - für oder gegen eine Organspende.

Woher stammen die meisten Organe, die transplantiert werden?

Organspenden von Unfallopfern machen nur 15 Prozent aus. Transplantiert werden vor allem Organe von Schlaganfallpatienten oder Menschen, die eine Hirnblutung erlitten haben. Der Mangel an Organen hat im Übrigen dazu geführt, dass wir in Deutschland noch Organe transplantieren, die in Spanien aussortiert würden. (Spanien ist weltweit die Nummer 1 bei Organspenden, die Red.)

Ist das als Arzt nicht extrem frustrierend?

Auf jeden Fall! Wir gehen aus Mangel an Organen an die Grenzen des medizinisch Machbaren.

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