Kirche+Leben fragt den Geschäftsführer des Osteuropa-Hilfswerks

Was kann Renovabis zum Frieden beitragen, Herr Ingenlath?

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Das katholische Osteuropa-Hilfswerk Renovabis eröffnet seine bundesweite Spendenaktion in diesen Tagen in Münster. Kirche+Leben fragt Renovabis-Geschäftsführer Markus Ingenlath: Was bewirkt die Hilfe aus Deutschland? Wie stehen die Chance auf Frieden in der Ukraine? Wie schätzt er Russland ein?

Herr Ingenlath, „Damit Frieden wächst – Du macht den Unterschied“ ist Leitwort der Renovabis-Aktion 2024. Was kann Renovabis zu Dialog, Frieden, Versöhnung und Vergebung beitragen?

Bei der Suche nach dem Leitwort spielte die Sehnsucht der Menschen nach Frieden eine große Rolle. Wir spüren bei vielen Menschen diese Sehnsucht angesichts der Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten sowie viele anderer Konfliktherde im östlichen Europa. Unsere Partnerorganisationen sind in ihren Ländern echte Brückenbauer und tragen zum Frieden bei. Wir sehen es als unsere Aufgabe, sie hierbei zu unterstützen, was uns durch die Pfingstkollekte in allen katholischen Kirchen Deutschlands, durch Spenden und auch durch Kirchensteuermitteln möglich ist. Zugleich laden wir dazu ein, für Frieden zu beten. Auch wenn wir am Frieden bauen können, ist es doch auch ein Geschenk, wenn Frieden wächst.

Viele Länder in Ost- und Südosteuropa kommen nicht zu Ruhe: Russland greift die Ukraine an, Spannungen herrschen etwa auch in Bosnien-Herzegowina, im Kosovo und in der Republik Moldau mit der abtrünnigen Region Transnistrien. Wie hilft Renovabis den Menschen dort?

Die Kirchen in diesen Ländern stehen an der Seite der Menschen. Ich habe großen Respekt vor den Priestern und Bischöfen in der Ukraine, die trotz der Bedrohung durch die nahezu täglichen Angriffe seit Anfang des Krieges bei ihren Gemeinden geblieben sind, selbst wenn diese nahe der Front liegen. Mit Existenzhilfen für Priester und Ordensleute ermöglichen wir, dass sie Seelsorge, die Sorge um die verwundeten Seelen, leisten können. Ich bewundere auch die vielen teils ehrenamtlichen Laien in den Caritas-Organisationen, die sich um die zahllosen Binnenflüchtlinge kümmern. Wir unterstützen zudem zahlreiche psychosoziale Projekte für Kinder und Menschen, die vom Krieg besonders betroffen sind. Zum Beispiel weil sie Angehörige verloren haben oder selbst verwundet wurden. Im Kosovo pflegt die katholische Kirche den interreligiösen Dialog und wirkt so gegen die Spannungen. Die Situation ist dort schwierig und könnte jederzeit wieder zu einem offenen, gewalttätigen Konflikt werden. Auch in Bosnien-Herzegowina ist die katholische Kirche am interreligiösen Dialog beteiligt als einer der wenigen Akteure, der die Nationalitäten zusammenbringt.

Welches Renovabis-Projekt verdient besondere Beachtung?

Natürlich liegt ein besonderes Augenmerk unserer Projektförderungen derzeit auf der Ukraine. Der Krieg betrifft alle Menschen in diesem Land, die Not ist groß. Ich würde an dieser Stelle jedoch gern die „Schulen für Europa“ in Bosnien und Herzegowina vorstellen, die wir schon seit vielen Jahren begleiten und deren Entstehung wir ermöglicht haben. Können Sie sich vorstellen, dass es noch fast zwei Jahrzehnte nach dem Dayton-Abkommen der Normalfall ist, dass Kinder nach Nationalitäten getrennt die Schulen besuchen? An den „Schulen für Europa“, die es an sieben Orten in Bosnien und Herzegowina gibt, werden katholische Kroaten, orthodoxe Serben und muslimische Bosniaken gemeinsam unterrichtet. Sie lernen eine Form des Zusammenlebens, die für das ganze Land so wichtig wäre.

Zurück zum russischen Angriff auf die Ukraine: Welche Friedensinitiativen erwarten Sie von der Politik?

Unsere Partner im Baltikum, in Polen, der Ukraine und anderen Ländern haben uns schon lange vor dem massiven russischen Angriff im Februar 2022 vor den imperialistischen Bestrebungen der russischen Führung gewarnt. Wir dürfen im Westen nicht naiv sein. Es hat sich vielfach gezeigt, dass die russischen Versprechen nichts zählen. Aber das sollte die Politik und auch den Vatikan nicht davon abhalten, diplomatische Kanäle zu nutzen, um eine Verbesserung der Situation oder gar ein Ende der Kampfhandlungen zu erreichen. Mir kommen da auch die vielen von Russland entführten ukrainischen Kinder in den Sinn, auch die Kriegsgefangenen. Ich hoffe, diese Kontakte laufen im Hintergrund, auch wenn darüber nicht öffentlich gesprochen wird. Wichtig bleibt: Keine Friedensinitiative sollte gegen den Willen der Ukraine oder über ihren Kopf hinweg ergriffen werden.

Was erwarten die Osteuropäer von der Europäischen Union?

Die Menschen in der Ukraine, in der Republik Moldau, auf dem Westbalkan und im Südkaukasus setzen große Hoffnungen in Europa und den Westen. Um Frieden auf unserem Kontinent zu schaffen und diesen dauerhaft zu sichern, wird es darauf ankommen, dass wir diesen Ländern den Weg in die westlichen Strukturen nicht verwehren.

Welche Rolle können Christen bei der Beilegung von Kriegen und Konflikten einnehmen?

Eingangs habe ich schon davon gesprochen, dass wir das Gebet um Frieden nicht vergessen sollten. Wir bauen auf die Unterstützung Gottes und vertrauen auf die Kraft des Gebetes. Auch die diesjährige Pfingstnovene von Renovabis, die wir in den neun Tagen vor Pfingsten beten, ist dem Frieden gewidmet. Als Christen sehen wir im Nächsten, auch wenn er unser Feind ist, ein Ebenbild Gottes. Es kann eine weitere wichtige Rolle von Christen sein, dass sie nicht einem Kollektivdenken verfallen und immer nach Wegen für Dialog und Verständigung suchen. Von der Utopie eines versöhnten Miteinanders in Europa will ich mich nicht abbringen lassen.

Wie kann Vergebung konkret aussehen, wenn Menschen Unrecht erfahren?

Mit Forderungen nach Vergebung sollten wir sehr vorsichtig sein, solange der russische Angriffskrieg andauert und täglich neue Wunden geschlagen werden. Es braucht Zeit, wie uns die Erfahrungen nach dem Zweiten Weltkrieg lehren. Die Bereitschaft zur Vergebung und Versöhnung muss in den Betroffenen wachsen. Das kann sehr lange Zeit in Anspruch nehmen oder auch ein Leben lang nicht gelingen. Eine wichtige Voraussetzung, dass Vergebung gelingen kann, ist, dass jeder für sich selbst einen Weg zum Umgang mit dem Erlittenen findet und sich mit der Zeit so auch ganze Völker auf den Versöhnungsweg machen können. Eine besondere Rolle kommt der Jugend aus der Opfer- und der Tätergemeinschaft zu, die sich begegnen und somit neue Wege zum Miteinander auftun kann. Der Glaube kann hier sehr hilfreich sein. Vollkommene Gerechtigkeit und Wiedergutmachung wird es auf Erden nicht geben, auch wenn es unsere Aufgabe ist, das anzustreben. Ich denke, wir sollten dies ein Stück weit auch in Gottes Hände legen.

Auf welche Hilfen von Renovabis können die Menschen setzen?

Im letzten Jahr hat Renovabis sein 30-jähriges Jubiläum gefeiert. Vielfach haben wir gehört: Wenn es Renovabis nicht gäbe, müsste man es heute gründen. Wir haben über einige Herausforderungen gesprochen, die es im Osten Europas in besonderer Weise gibt. Da ist zudem das Erbe des Kommunismus, das bis heute nachwirkt. Es gibt weiterhin enorme soziale Ungleichheit und es herrscht vielerorts echte existenzielle Not. Katholiken sind in vielen Ländern in der Minderheit. Sie brauchen weiter unsere Unterstützung.

Welchen Auftrag hat Ihr Hilfswerk?

Renovabis hat einen Dialogauftrag. Dieser ist auch dringlich, wenn wir manche Gräben im politischen Europa, aber auch in und zwischen den Kirchen sehen, die teilweise einen ganz anderen Blick auf Synodalität haben als in Deutschland. Die Menschen im Osten Europas können weiter auf unser Engagement setzen. Dabei hoffen wir auf die Unterstützung der Katholikinnen und Katholiken in Deutschland durch die Pfingstkollekte und durch Spenden.

Tagung zu Osteuropa im Franz Hitze Haus in Münster
Markus Ingenlath zählt zu den Referenten einer Tagung aus Anlass der Renovabis-Eröffnung. Am Freitag, 3. Mai, stehen von 16 bis 20 Uhr Dimensionen des Themas „Frieden und Versöhnung“ im Zentrum. Gesprächspartner aus Deutschland und Osteuropa werden erwartet. Informationen und Anmeldung unter www.franz-hitze-haus.de.

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