Prior des Rogate-Klosters war im Stadtrat in Wilhelmshaven

Warum Bruder Franziskus als Grünen-Fraktionschef aufhört

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Die Polizei hat ihm zur Vorsicht geraten. Kein Wunder: Der Prior des ökumenischen Rogate-Klosters St. Michael musste in seiner Zeit als Kommunalpolitiker auch schon mal handfeste Anfeindungen erleben: einen demolierten Briefkasten zum Beispiel oder ein zerstörtes Fahrrad. Doch das ist nicht der Grund dafür, dass der evangelische Ordensmann sein Mandat im Wilhelmshavener Stadtrat zum 31. August vorzeitig niedergelegt hat.

Tage wie diesen wird er künftig nicht mehr erleben. Fünf Stunden hat Bruder Franziskus als Ratsherr der Grünen im Rat der Stadt Wilhelmshaven um die Zukunft des städtischen Klinikums gerungen. Um die Frage: Wie lässt sich das Krankenhaus aus seiner finanziellen Schieflage retten? Soll die Stadt nach einer Finanzspritze von mehr als 100 Millionen Euro noch einmal 50 Millionen nachschießen? Kommunalpolitik pur eben.

Ratssitzungen wie diese gehören künftig nicht mehr zu den Aufgaben des 56-Jährigen. Denn: Der evangelische Ordensmann hat sein Amt zum 31. August vorzeitig niedergelegt, aus beruflichen Gründen. Die Ratssitzung war eine der letzten des Priors des ökumenischen Rogate-Klosters St. Michael zu Berlin.

Mit Kandidatur die Demokratie unterstützen

In diesem Orden haben sich Männer und Frauen zusammengeschlossen, die nach dem geistlichen Konzept der 2009 gegründeten Rogate-Gemeinschaft ihren Glauben leben wollen. Nicht in einem Kloster, sondern verteilt an verschiedenen Orten. Bruder Franziskus in Wilhelmshaven, wo er zur Schule gegangen war und beruflich für das Diakonische Werk arbeitete, bisher jedenfalls.

In der Jadestadt hatte er vor drei Jahren für den Stadtrat kandidiert, für die Grünen. Warum er damals in die Kommunalpolitik ging? „Weil ich nach den Wahlerfolgen der AfD in Brandenburg dachte: Es reicht nicht aus, politisch zu denken und demokratisch zu wählen. In einer Parteiendemokratie ist es auch sinnvoll, einer demokratischen Partei beizutreten und sie zu unterstützen.“

Bruder Franziskus sah sich bei den Grünen gut aufgehoben

Bruder Franziskus sah sich bei den Grünen am besten aufgehoben. Etwa mit Blick auf sein Interesse für Klima- und Naturschutz sowie Menschen- und Bürgerrechtspolitik. „Man hat ja bei keiner Partei eine hundertprozentige Deckung. Aber für mich waren die Grünen am nächsten.“ Dabei wollte er auch weiterhin immer mit allen reden können. Mit einem Partei-Button am Revers sei er deshalb nie rumgelaufen.

Richtig geglaubt hatte er nicht an einen Erfolg bei der Kommunalwahl 2021. Bruder Franziskus lächelt. Schließlich habe seine Partei keinen leichten Stand in der Stadt. Dennoch schaffte sie mit sechs Abgeordneten den Einzug in den Rat. Er selbst stand damals mit seinem bürgerlichen Namen Miguel Schaar auf dem Wahlzettel, auf Listenplatz 2, und war plötzlich Ratsherr.

In Diskussionen fliegen auch mal die Fetzen

Seither habe er versucht, „von einer christlichen Grundposition aus“ über die Belange der Menschen mitzuentscheiden und Neues auf den Weg zu bringen, zuletzt als Fraktionsvorsitzender. „Zu fragen: Welche Entscheidungen haben welche Auswirkungen?“ Bei der Debatte über das Klinikum zum Beispiel mit dem Blick nicht nur aufs Geld, sondern auch auf die 1.500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dort.

„Wenn ich im Rat mit meinem Ordensnamen aufgerufen werde, dann ist das ja auch immer eine Erinnerung an meinen Auftrag als Christ und meine Berufung als Ordensmann.“ Auch dann, wenn in Diskussionen mal die Fetzen flogen. „Und ich mich fragen musste: Lass ich meiner Wut Raum? Oder frage ich mich: Wie sollte einer reagieren, der den Namen Franziskus trägt?“

Besonders die Jugendlichen im Blick

Im Rückblick macht ihm manches in den vergangenen Jahren Angestoßene Hoffnung für die Zukunft. Zum Beispiel das Projekt „Gleispark“. Der Plan: Mitten in Wilhelmshaven soll ein Gelände mit Angeboten für alle Generationen entstehen. Bruder Franziskus hat dabei besonders Jugendliche im Blick. „Wo sie sein dürfen und wo sie auch laut sein dürfen.“

Dass auch andere die Idee unterstützen, freut den Ordensmann. „Weil das gerade in einer armen Stadt wie Wilhelmshaven besonders wichtig ist.“ In einem Armuts-Ranking der „Zeit“ aus dem vergangenen Jahr rangierte die 76.000-Einwohner-Stadt am Jadebusen mit einer Armutsquote von fast 20 Prozent bundesweit auf dem 4. Platz.

Briefkasten demoliert und Fahrrad zerstört

Der katholisch getaufte und später konvertierte Ordensmann hat sich eingesetzt gegen Rassismus und gegen Homophobie. In Wilhelmshaven organisierte er 2021 anlässlich des 1. Christopher-Street-Days in der Stadt einen ökumenischen Gottesdienst. Dazu hatten die Kirchen auch in diesem Jahr wieder eingeladen. Und erst im Januar hat er eine Kundgebung gegen Rechtsextremismus organisiert.

Hat er für seine klaren Positionierungen auch Anfeindungen erlebt? Ab und zu schon, sagt er. Manchmal nur ärgerliche, aber eher harmlose. Zum Beispiel, wenn politische Gegner der AFD ihn mit spöttischem Unterton als „Papst Franziskus“ titulierten. Aber auch bedrohliche. Menschen, die vor ihm auf den Boden spuckten oder provokativ einen Hitlergruß zeigten. Mehrfach haben ihm Unbekannte seinen Briefkasten demoliert oder das vor dem Rathaus abgestellte Fahrrad zerstört. Dass Bruder Franziskus weiß: „Damit stehe ich aber nicht allein, das geht anderen auch so.“ macht die Sache nicht besser.

Bruder Franziskus bekam Sicherheitstipps von Polizisten

„Dass Polizisten mir mal Ratschläge geben würden, welchen Heimweg ich sicherheitshalber nehmen solle, das hätte ich mir früher nicht träumen lassen“, sagt er. Oder, dass er regelmäßig Schrauben und Bremsen am Fahrrad kontrollieren solle. Sehr konkrete Tipps. Zum Beispiel auch, dass er nicht öffentlich schreiben solle, wo er sich wann befinde. „Das ist natürlich schwierig, wenn man einen Gottesdienst hält.“

Sein knappes „Ja“ auf die Frage, ob sein Abschied aus der Politik endgültig sei, lässt keinen Zweifel spüren. Das liegt an seinen Zukunftsplänen. Bruder Franziskus verlässt Wilhelmshaven, um zunächst als Pfarrverwalter in einer evangelischen Gemeinde im Harlingerland, einem Landstrich in Ostfriesland, tätig zu sein. Mit einer neuen Perspektive: Nach ein paar Jahren gibt es für ihn als studierten Theologen dort die Möglichkeit, als Pastor ordiniert zu werden. Doch auch wenn es keine aktive Kommunalpolitik mehr sein wird – politisch werde seine Arbeit bleiben, verspricht er.

Katholische Geistliche in der Politik
Anders als dem evangelischen Ordensmann Bruder Franziskus ist katholischen Diakonen, Priestern und Bischöfen eine politische Kandidatur nicht erlaubt. „Öffentliche Ämter anzunehmen, die eine Teilhabe an der Ausübung weltlicher Gewalt mit sich bringen, ist den Klerikern verboten“, heißt es in Canon 285, Paragraf 3, im katholischen Kirchengesetzbuch. Mehrere Ausnahmen gibt es allerdings in Bayern. Die Benediktiner von Münsterschwarzach und St. Ottilien etwa hatten auch bei der letzten bayerischen Kommunalwahl wieder eigene Wahllisten aufgestellt und Vertreter in die Kommunalparlamente gebracht. Für den Orden war das nie eine kirchenjuristische Frage, sondern eine pragmatische. Benediktiner saßen in Münsterschwarzach schon vor dem Zweiten Weltkrieg bis zur Machtübernahme der Nationalsozialisten im Gemeinderat. Danach sei es dann für alle selbstverständlich gewesen, dass der Orden weiter vertreten war. Die für die Ausnahmegenehmigung zuständigen Äbte hatten den Kandidaturen stets zugestimmt.

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