Kirche ist Anlaufpunkt für Fußballfans – an Spieltagen geöffnet

Mit Gott auf Schalke: Vor der Fußball-EM zu Besuch in St. Joseph

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Wer aus dem Gelsenkirchener Süden zum Schalker Fußballstadion will, der kommt hier vorbei. Die Straßenbahn-Linie 302 hält direkt vor der Tür. Und so kann man kaum anders, als wahrzunehmen: Da ist eine Kirche, die zeigt an Schalke-Spieltagen buchstäblich Flagge. Und auch jetzt, zur EM.

Vor der Kirche St. Joseph in Gelsenkirchen-Schalke wird an Spieltagen der Königsblauen alles blau und weiß geschmückt und eingeladen, einzutreten. In ein Gotteshaus, das Ende des 19. Jahrhunderts gebaut wurde, als das sprunghafte Wachstum des Arbeiterstadtteils Schalke auch den Bedarf an katholischen Einrichtungen samt einer Kirche mit sich brachte. Die Zeiten haben sich geändert: Als Kirche wird St. Joseph demnächst gar nicht mehr genutzt. Ein Investor ist schon gefunden.

Aber auch wenn hier schon heute keine regulären Gottesdienste mehr stattfinden – ein Ort der ganz niedrigschwelligen Pastoral wird die Kirche bleiben. Hier kann man Station machen, bevor es zum Stadion geht. Das Bierchen vor dem Portal abstellen, die Fan-Mütze absetzen. Die im Schalke-Fanshop neu angeschaffte Fußmatte im Eingangsbereich der Kirche versiert umrunden, auf der steht: „Sie betreten nun heiligen Boden.“ Nochmal schnell aufs Klo gehen. Die Kirche bietet die letzte öffentliche Toilette vor dem Stadion. Sich dann vielleicht noch das besondere Kirchenfenster mit Fußball-Bezug angucken und zuletzt eine weiße Kerze in blauer Plastik-Einfassung anzünden. Und beten, dass es diesmal etwas wird mit drei Punkten. Mit Gott auf Schalke.

Ausgerechnet ein BVB-Fan kümmert sich in Schalke

Jetzt ist Liga-Pause, aber der Ball rollt dennoch schon bald wieder. Gelsenkirchen ist Spielort bei der Europameisterschaft. Am Sonntag ist das erste Spiel in der Arena. Zwischen eher gedämpfter blau-weißer Stimmung und Vorfreude aufs europäische Turnier empfangen Pastoralreferentin Christiane Rother und ihre Kollegin Rebekka Griemens in St. Joseph.

Wobei die beiden Frauen eigentlich gar keine Schalke-Fans sind. Christiane Rother hat schon oft erzählt, dass sie es ausgerechnet mit den Schwarz-Gelben aus Dortmund hält. Pfarrer Ingo Mattauch, der sie 2013 für das damals ganz neue Projekt „Offene Kirche Schalke“ gewann, sah darin kein Problem. Heute wird jeder, der sie und ihre Arbeit kennt, sagen: Er wählte die Richtige. Längst wurde sie von den Schalkern ins Herz geschlossen, und umgekehrt.

Fußball stiftet Identität im Stadtteil

Schalke hat unterdessen, wie der Fußballverein, wahrlich bessere Tage gesehen. Besonders einen Steinwurf nördlich der Kirche, im Stadtteil Schalke-Nord, ist viel Trostlosigkeit. Hohe Arbeitslosigkeit, schlechte Bausubstanz vieler Häuser und vor allem gewaltige Probleme bei der Integration von Zugewanderten aus Bulgarien und Rumänien prägen seit Jahren den Stadtteil. Hier geht es um Brennpunkt-Pastoral.

Umso wichtiger ist der identitätsstiftende Fußball. Christiane Rother und Rebekka Griemens können Geschichten zuhauf erzählen, viele lustige, aber auch traurige wie diese: Da sei mal eine Gruppe Nordkurven-Schalkefans in die Kirche gekommen, die bedrückt wirkten und auch nichts Launiges ins Gästebuch schreiben wollten. „Wie sich herausstellte, war kurz zuvor ein Kumpel von ihnen verstorben, dessen sie gedenken wollten.“ Erst bei einem weiteren Besuch konnten sie über den Verlust reden.

„Ein Leben lang“

„Ein Leben lang“ steht auf einem großen Schal am Altar. Der Slogan von Schalke passt auch gut zur Kirche: Ja, durch die Taufe ist man Christus verbunden – ein Leben lang, auch wenn man vielleicht der Kirche den Rücken gekehrt hat. Eine christliche Fußball-Analogie, mit der die Leute hier etwas anfangen können.

Eine schillernde Verbindung der Kirche zur Gründungsgeschichte des Vereins, wie sie die Dortmunder kennen, gibt es hier allerdings nicht, weiß Christiane Rother. Und auch die Vereinsführung hat, anders als viele Fans, keineswegs eine enge Verbindung zu der Schalke-Gemeinde.

Das Fußball-Kirchenfenster dem Bistum „untergejubelt“

Deren Anfänge als offene Kirche lesen sich so: Pfarrer Mattauch, damals gerade neu in St. Joseph, schaute sich Ende 2012 in seinem Umfeld um – und stellte fest, dass sich gerade an den Heimspieltagen von Schalke 04 schon Stunden vor dem Anpfiff viele Menschen rund um die Haltestelle Grillostraße in Fan-Kleidung versammelten. Er wollte seine Kirche ohnehin auch außerhalb der Gottesdienste öffnen – und richtete mit Ehrenamtlichen das Projekt „Offene Kirche Schalke“ ein. So einfach, so erfolgreich.

Die Verbindung der Kirche zum Fußball, die muss man hier nicht mühsam konstruieren. Dafür sorgt schon das berühmte Kirchenfenster von Walter Klocke. Das wurde 1950 in Auftrag gegeben und zeigt den Schutzpatron der männlichen Jugend, den heiligen Aloisius. Der Clou: der blau-weiße Ball zu seinen Füßen. Beinahe wäre das Fenster nicht in der Kirche eingebaut worden, weiß Christiane Rother: „Das Erzbistum Paderborn, zu dem die Gemeinde nach dem Krieg gehörte, wollte davon nichts wissen und verweigerte die Genehmigung.“ Glücksfall für die Gemeinde: Zu dieser Zeit wurde das neue Bistum Essen gegründet und in diesen Zeiten hatte man wichtigere Fragen zu klären als die nach einem Fußball-Kirchenfenster. So konnte man das Fenster der Bistumsleitung „unterjubeln“.

Zur Info:
Bei der Fußball-EM wird die Kirche drei Stunden vor den Spielen der deutschen Mannschaft und sieben Stunden vor den Spielen in Gelsenkirchen geöffnet und dann natürlich auch die Spiele gezeigt. Die Erfahrung zeige, dass viele Fans nicht erst zum Spiel kämen, sondern sich schon tagsüber in der Stadt umschauten, sagt Christiane Rother. Internationale Gäste hat sie schon öfter begrüßt, auch schon englischsprachige Führungen gemacht. Jetzt sind sie und Rebekka Griemens gespannt, wer als EM-Gast in die Kirche kommt. Verständigen werde man sich schon können – „zur Not mit Händen und Füßen“.

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