Stephan Orth zu überbordenden Strukturen in der Seelsorge

Es braucht eine Kirche ohne Plan, die sich am Menschen orientiert

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Wie soll sich die Kirche entwickeln? Auf der Suche nach Antworten werden immer wieder neue Strukturprozesse angestoßen, dabei sollte es doch in erster Linie um die Seelsorge an sich gehen, erklärt Stephan Orth in seinem Gastkommentar.

Ist Kirche in Ihrem Leben präsent? Oder hören Sie häufiger von Richtungsstreitigkeiten, Strukturprozessen und synodalen Wegen, als dass Sie Kirche als echten Mehrwert erleben?

Diese Fragen mögen provokativ sein. Doch ich erlebe in der Kirche zunehmend eine Fixierung auf Papiere, Konzepte und Strukturen – oft auf Kosten echter Beziehungen. Muss das so sein?

Struktur kann Sicherheit geben. Doch kaum etwas lässt uns so sehr wachsen wie Beziehungen zu anderen Menschen – und nichts zeigt so deutlich, wie zerbrechlich das vermeintlich „Sichere“ ist. Doch anstatt in Beziehung zu gehen, drehen wir uns viel zu häufig um uns selbst.

Verstecken oder Verkündigen?

Der Autor
Stephan Orth ist Schulseelsorger am Kardinal-von-Galen-Gymnasium und Pastoralreferent in St. Clemens Münster-Hiltrup. Er ist in der Radioverkündigung des Bistums aktiv und war vor seiner Arbeit als Seelsorger lange politisch engagiert.

Ich erlebe Seelsorger, die sich in endlosen Theorien verlieren, Verantwortungsträger, die sich hinter Konzepten verstecken, und blumig formulierte Papiere, die den Eindruck erwecken: Wir haben alles unter Kontrolle!

Strukturfetischismus als Ausdruck tiefer Verunsicherung – und nicht selten als Schutzmechanismus. Dahinter steckt Angst: vor Menschen, vor dem Unvorhersehbaren, vor neuen Denkmustern, vor echter Offenheit. Es ist die Angst, außerhalb vertrauter Systeme zu agieren, Angst vor Ablehnung und Kritik.

Alles im Zeichen der „professionellen Distanz“. Klar, es ist zweifellos notwendig, unsere Arbeit immer wieder kritisch zu reflektieren. Doch „Distanz“ darf nicht zur Ausrede unserer eigenen Soziophobie werden. Verstecken oder Verkündigen?

Eine Kirche, die sich einlässt

Auch Nähe kann professionell gestaltet werden. Und es braucht sensible Nähe – ein respektvolles Angebot, das auch abgelehnt werden kann. Beziehungen, die nicht nur in Notlagen gestaltet werden. Mitgehen, mitleben, einfach da sein – selbst wenn es nur punktuell ist. Dasein bedeutet nicht, Menschen zu erdrücken oder zu bedrängen, sondern verlässlich und ansprechbar zu sein – auf Augenhöhe. Zu akzeptieren, wenn wir für manche Menschen irrelevant sind.

Was es nicht braucht, sind Pastoralkonzepte, die niemand liest oder die nicht gelebt werden. Eine Kirche, die sich angeblich „professionell distanziert“ zurückzieht. Oder Seelsorger, die sich hinter Papierkram verstecken. Und erst recht braucht es keine autoritären Kleriker, die glauben, die Welt brauche die Kirche, um „heil“ zu sein.

Um es auf den Punkt zu bringen: Ich will eine Kirche ohne Plan. Eine Kirche, die sich wirklich auf ihr Gegenüber einlässt – nicht auf Grundlage theoretischer Luftschlösser, sondern am unmittelbaren Menschen orientiert.

In unseren Gast-Kommentaren schildern die Autor:innen ihre persönliche Meinung zu einem selbst gewählten Thema. Sie sind Teil der Kultur von Meinungsvielfalt in unserem Medium und ein Beitrag zu einer Kirche, deren Anliegen es ist, die Zeichen der Zeit zu erkennen.

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