Als Einzelkämpfer hatte er 1983 begonnen

Nach 41 Jahren Pionierarbeit: Offizialatsarchivar Wilhelm Baumann tritt ab

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Er sollte 1983 Ordnung in die alten Akten im Keller und auf dem Dachboden der Behörde in Vechta bringen. Mittlerweile umfasst das Archiv der Kirche im niedersächsischen Teil des Bistums Münster mehr als drei Regalkilometer.

Erst kürzlich wieder hat Wilhelm Baumann ein besonders interessantes Objekt bekommen: ein Album mit Bildern und Dokumenten aus den Anfängen der Pfarrei Maria Frieden Vechta. Es stammt aus einer Gastwirtschaft, deren Wirt vor ein paar Wochen gestorben war. Beim Ausräumen des Gebäudes war das Album aufgetaucht, ein Zufallsfund.

„Ein wahrer Schatz aus den 1950er Jahren“, schwärmt der langjährige Leiter des Offizialatsarchivs in Vechta. „Alles minutiös beschriftet.“ Julius Wendeln, der Wirt, war damals Küster und Organist der jungen Gemeinde und hatte es erstellt.

Seltene Glücksfälle für das Vechtaer Archiv

Solche Funde zaubern ein Lächeln auf Baumanns Gesicht. „Gut, dass es jemandem aufgefallen ist. Das Unikat wäre sonst wohl auf dem Müll gelandet.“ Und für immer verloren gewesen. Stattdessen wird es nun als dauerhafte Leihgabe aufbewahrt.

Ein Glücksfall, wie ihn der 64-Jährige in seinen 41 Berufsjahren nicht oft erlebt hat. Dennoch gehörten interessante Funde immer wieder dazu. „Das Spannende ist ja, dass man im Archiv Dokumente zu Gesicht bekommt, in denen sich die Kirchengeschichte der Region widerspiegelt“, sagt Wilhelm Baumann. Wenn Pfarreien ihre Akten dort einlagern zum Beispiel, oder wenn es um die Sichtung und Sicherung von Nachlässen geht.

Offizialatsarchiv ist Fundgrube für den Historiker

Für ihn als Historiker sei das eine Fundgrube gewesen. „Weil ich Quellen auswerten und manchmal die Ergebnisse publizieren konnte.“ In Aufsätzen, Schriftenreihen oder den beiden Handbüchern, die er gemeinsam mit seinem Kollegen Peter Sieve veröffentlicht hat.

Als Quereinsteiger und Einzelkämpfer war der studierte Realschullehrer 1983 im Offizialat angefangen. Zunächst in einem kleinen Büro, mit gerade mal 30 Büchern und dem Auftrag, die auf dem Dachboden und im Keller in Kisten und Regalen deponierten Akten zu sortieren und nutzbar zu machen.

Zehn Jahre lang Einzelkämpfer im Archiv

Nach zehn Jahren kam Peter Sieve hinzu, später ein Sekretariat und mittlerweile auch ein eigenes Archivgebäude mit Außendepot. Heute gehören ein halbes Dutzend Mitarbeiter zum Team.

Auch jemand für die Digitalisierung, an die in den 1990er Jahren überhaupt noch nicht zu denken war. Damals klingelten fast täglich Familienforscher an der Archivtür. Aufwendig durchsuchten sie vor Ort die Kirchenbücher nach Namen und Daten. Mittlerweile kann jeder leicht von zu Hause aus forschen, online. Die Originalbände wie zum Beispiel das älteste Register, das 1613 beginnende Taufbuch von St. Andreas Cloppenburg (Krapendorf), müssen nur noch selten aus dem Magazin geholt werden.

30.000 Bücher und mehr als drei Regalkilometer Akten

Und trotz des digitalen Fortschritts sind aus den winzigen Anfängen von 1983 mittlerweile drei bis vier Kilometer Akten geworden. 30.000 Bücher und jede Menge Aktenordner und Archivkartons an zwei Standorten. „Beide Magazine sind gefüllt bis obenhin“, sagt der Archivar.

Die jüngeren Bestände müssen allerdings noch durchforstet und ausgesiebt werden. Auch wenn er sich dreimal überlegt, ob er etwas endgültig wegschmeißen kann, weiß Baumann, dass es ohne nicht geht. „Wir würden sonst in einer Papierflut ertrinken.“

Archivbestände sind wichtige Quelle für Forschung

Aber was muss bleiben und was kann weg? „Bei Kirchengemeinde-Haushalten etwa heben wir zwar den Jahresabschluss, aber nicht mehr alle Belege länger als für die übliche Aufbewahrungsfrist von zehn Jahren auf.“ Außer, es geht um Baumaßnahmen.

„Weil man anhand der Rechnungen später nachvollziehen kann, welche Maler oder Steinmetze beteiligt waren. Und das ist unter Umständen länger interessant.“ Etwa für die Forschung über Künstler. Das Archiv kann auch helfen, wenn ein Gebäude renoviert wird. Zum Beispiel mit alten Bauplänen oder statischen Gutachten.

Promovierte Historikerin Verena Bölsker ist Baumanns Nachfolgerin

Gerade in den letzten zehn Jahren seiner Amtszeit rückte auch das Missbrauchs-Thema immer mehr in Wilhelm Baumanns Fokus. Seine Aufgabe bei der Aufarbeitung des Geschehenen war es, Personalakten von Priestern und Diakonen zusammenzustellen, dabei getrennt gelagerte Bestände aus verschiedenen Archiven, auch älteren, zusammenzuführen und für die Untersuchungen in Münster zur Verfügung zu stellen. Manches habe ihn erschüttert. „Weil ich es nicht für möglich gehalten hätte. Und weil ich auf Serientäter aufmerksam wurde, die mir auch selbst begegnet sind.“

Nach 41 Jahren hat Wilhelm Baumann zum 1. Juli die Leitung des Archivs an Verena Bölsker abgegeben. Die promovierte Historikerin war schon zuvor Mitarbeiterin des Archivs. Er wird auch nach seiner Verrentung noch zwei Jahre mit halber Stelle weiter im Archiv tätig sein.

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