Ein Wort, ein Bild, ein Gedanke - von Pater Abraham Fischer OSB

Sichtweisen (1): DISKRETION

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Wo es von vielem zu viel gibt und alles gleich gültig zu sein scheint, drohen Gleichgültigkeit und Überforderung. Dringend nötig: das Wesentliche herausfinden. 

Unsere Welt ist laut und geschwätzig. Viele Dinge werden analysiert und permanent bedacht - vielleicht sogar zergrübelt. Wir werden informiert und wir lassen uns auch allzu gerne informieren. Und wir denken permanent darüber nach.

Dabei werden Gedankengebilde erzeugt, die mit der Realität nicht übereinstimmen. Im Inneren der Menschen spielen sich Dialoge ab, die sich nicht weiterentwickeln, weil ihre Erprobung in Wirklichkeit ausbleibt. Für den Menschen kann das eine (Ab-)Spaltung bedeuten, etwas Entfremdendes. Wir flüchten in eine Scheinwelt aus Gedanken. Letzen Endes bleibt ein Gefühl zurück, viel zu essen und nicht satt werden zu können und daher immer mehr zu essen. Ein Teufelskreis.

Einfallsreichtum und Einfalllosigkeit

Diskretion ist eine Haltung innerer Mäßigung, des inneren Schweigens. Ich kann Dinge stehen lassen, ohne sie permanent bewerten zu müssen. Ich schaue genau hin, spüre, was ich wahrnehme. Damit gebe ich der Wirklichkeit die Chance, in mich (hin)einzufallen. Das ist im wahrsten Sinn des Wortes Einfallsreichtum. Unsere Zeit beklagt zunehmende Ideenlosigkeit. Vielleicht ist es in diesem Sinn Einfallslosigkeit?

Wir können dagegen ankämpfen und erkennen das Bild einer surrealen Ausweglosigkeit: Don Quijote, der erhobenen Schwertes sein Pferd gegen Windmühlen treibt, weil er sie für feindliche Riesen hält.

Die sanfte Gegenhaltung: Gelassenheit

SICHTWEISEN
Ein Wort, ein Bild, ein Gedanke - das sind die “Sichtweisen”, die einmal in der Woche ins Nachdenken bringen wollen, Welten eröffnen, Leben entdecken, Gott suchen helfen. Menschenlebensnah und gottverbunden. Jeder Monat wird von einer Autorin oder einem Autoren textlich gestaltet; die Redaktion von Kirche+Leben sucht zu dem jeweiligen Stichwort frei ein Foto.

Gelassenheit wäre eine weise, beharrlich sanfte Gegenhaltung: Ich werde innerlich still und schaue intensiv auf meine Umwelt, gehe in den Zustand des Betrachtens.

Die geistliche Tradition kennt eine Andachtsform, die sich Betrachtung nennt. Ein Wort, ein Gedanke werden bewusst wiederholt, verinnerlicht, geistig gekaut und verdaut. So wird dem inneren Dialog ein Thema gegeben – gegen allen Wildwuchs und Wertungslärm. 

Seelenbilder aus der Tiefe

Die Betrachtung ist eine besondere Form, sich etwas zueigen zu machen und gezielt Wirklichkeit im Innern entstehen zu lassen. Es sind nicht äußere Reize, die verarbeitet werden müssen, sondern Seelenbilder, die aus der Tiefe aufsteigen.

Die Benediktsregel kennt Diskretion als Unterscheidung zwischen Wichtigem und Nichtigem. Das ist Betrachtung, die Äußeres genau wahrnimmt, es verstehen lernt und daraus maßvolle Handlungen hervorbringt. 

Das abgespaltene Gedankenkonstrukt verleitet zum Übermaß. Die Betrachtung eröffnet wirklich Wege.

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