Ein Wort, ein Bild, ein Gedanke - von Pater Abraham Fischer OSB

Sichtweisen (2): GEWOHNHEIT

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“Das ist mal was anderes”, sagen manche Leute. Und damit ist es für sie gut. Treue zum Immergleichen gilt als langweilig. Dabei liegt eine große Kraft darin. 

Was steckt dahinter, dass wir Dinge monoton wiederholen? Anscheinend erleichtert es Grundvollzüge. Also Handlungen oder Abläufe, die wir nicht jedes Mal erneut gestalten oder gar zwischen Alternativen zu entscheiden haben. Dann kaufen wir immer wieder dasselbe Produkt. 

Viele Menschen vollziehen morgens den immer gleichen Ablauf. Was genau wir da tun, bemerken wir erst, wenn wir gestört werden. Das bewährte Produkt ist vergriffen und wir finden uns vor einem Regal und müssen ein anderes aussuchen. Ein unerwarteter Anruf bringt uns morgens aus dem Konzept.

Gewohnheit als Gerüst im Alltag

Gewohnheit hat etwas mit Wohnen zu tun. Lateinisch – habitus - habitare. Eingewohnt sein. Gewohnheit ist Gerüst, das den Alltag vereinfacht. Sie ist Struktur. Verlässliche Vollzüge halten uns offen für Herausforderungen.

Nicht umsonst kennt jede Religion Rituale. Sie sind reflektierte und bewusste Wiederholung, weil sie das Verloren-Geglaubte beständig wieder holen, also erneuern. Das hat etwas mit Heimkehr zu tun. 

Leben braucht Rituale

Wir Menschen sind – was die essentiellen Zusammenhänge unseres Lebens angeht - interessanterweise sehr vergesslich. Eben war da noch die Gewissheit, in einer liebenden Beziehung zu leben. 

Wird das nicht mehr gepflegt oder zu einer Selbstverständlichkeit, so kann die Liebe schwinden. Leben braucht Rituale und Gewohnheit. Sie sind Struktur, das Gerüst, an dem wir uns erinnern und festigen.

SICHTWEISEN
Ein Wort, ein Bild, ein Gedanke - das sind die “Sichtweisen”, die einmal in der Woche ins Nachdenken bringen wollen, Welten eröffnen, Leben entdecken, Gott suchen helfen. Menschenlebensnah und gottverbunden. Jeder Monat wird von einer Autorin oder einem Autoren textlich gestaltet; die Redaktion von Kirche+Leben sucht zu dem jeweiligen Stichwort frei ein Foto.

Im Stress helfen Ankerpunkte

In der geistlichen Tradition kennen wir das „Habitare secum“, das Wohnen in sich selbst. Wir sind in unserem Inneren zuhause. 

Die Übung schafft einen inneren Ankerpunkt für Herausforderungen, sie erinnert uns im Stress, dass es in uns Punkte gibt, die von den Äußerlichkeiten unberührbar bleiben.

Was das Mönchsgewand mit Gewohnheit zu tun hat

Das Gewand der Mönche heißt vielleicht aus diesem Grunde „Habit“. Es erinnert uns daran, dass wir uns immer mehr in die Gegenwart Gottes einwohnen. Auch Profis wie Mönche vergessen das schon mal. Wenn wir dann den Habit anziehen werden wir an unser wesentliches Ziel erinnert. 

Das Gewand vergewissert, dass wir unserer Sehnsucht nicht nur durch Nachdenken folgen, sondern besonders auch darin, dass wir es einfach immer wieder tun. Das stärkt das Vertrauen, dass das Ritual eine Rückwirkung auf unsere Persönlichkeit bewirkt.

Gewohnheit ermöglicht Veränderung

Es scheint paradox: Wenn wir Dinge wiederholen, Gewohnheiten pflegen, Rituale vollziehen, dann geschieht darin eine innere Veränderung. Geistliche Entwicklung ist eine Lebenskunst. 

Wir wissen genau: Wenn wir eine Beethovensonate auf dem Klavier spielen wollen, kommen wir um die Übung nicht herum. Wiederholung ist die Grundlage aller (Lebens-)Kunst, die sich in sich selbst übersteigen und erwachsen kann.

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