Chefredakteur Markus Nolte: Missbrauch – interessiert das noch jemanden?

Entsetzensermattung im Gottesvolk: Genervt vom Ruf nach Transparenz

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Wenn es zu viele schlechte Nachrichten gibt, blendet man sie einfach aus - auch beim Thema Missbrauch in der Kirche. Und spielt damit denen in die Karten, die längst wieder ihr eigenes Ding machen, warnt Chefredakteur Markus Nolte.

Womöglich wird dieser Kommentar gar nicht gelesen. Denn er handelt davon, was nicht gelesen wird, obwohl sich einmal alle einig waren, dass es wichtig ist: von Missbrauch, einmal mehr, und dem Umgang mit Taten und Betroffenen, Tätern und Vertuschern. Ganz wichtig war es, dass alles ans Licht kam. Dass endlich darüber berichtet wird.

Das geschieht seit 14 Jahren – auch in Kirche+Leben, immer und immer wieder. Heute zeigen unsere Statistiken, was manche Leserbriefe und Online-Kommentare so formulieren: „Jetzt ist es aber auch mal gut gewesen, es gibt so viel Gutes und Schönes in der Kirche, schreibt mal mehr darüber.“

Zwei Jahre nach Veröffentlichung des Missbrauchs-Gutachtens für das Bistum Münster scheinen von der empörten Forderung auch im Kirchenvolk nach Transparenz kaum mehr als gereizte Genervtheit, offenes Unverständnis, gelangweilte Ignoranz geblieben.

Beide Augen zu und Lobpreis singen

Überhaupt solle die Kirche sich nicht so viel mit sich selbst beschäftigen, mit längst von langen Bärten umwucherten Reformforderungen, Strukturen und Synodalem, sondern soll sich mehr ums angeblich Wesentliche kümmern – Evangelisation, Liebe zur Kirche, Leben aus der Verbundenheit mit dem Herrn. Da kommt die Entsetzensermattung gut zupass.

Man kann sich noch so fest beide Augen zuhalten und frommen Lobpreis singen gegen die Angst vor dem eigenen Untergang: Ist das noch Abgestumpftheit gegenüber dem Leid unzähliger Menschen und dem unmenschlichen Umgang mit zahllosem Leid – oder schon Verhöhnung? Oder sind das diese Trotzreaktionen, die gesamtgesellschaftlich auf einfach zu viel schlechte Nachrichten en vogue sind?

Medien zur Auferbauung der Genervten

Gibt es also eine legitime Klage gegen Übersättigung durch zu viel Übel? Und ist es also an den Medien, gefälligst freundlicher zu dosieren und mehr gute Nachrichten zu produzieren zur Auferbauung der Genervten?

Das Schlechte nicht sehen zu wollen, ist die eine Sache. Es nicht zu zeigen, ändert indes nichts an seiner dramatischen Existenz. Im Gegenteil: Desinteresse spielt jenen in die Hände, die längst wieder dabei sind, die Dinge nach Kirchenart in aller Stille zu regeln. Da lässt man sich nicht reinreden. Würde ja ohnehin nicht gelesen.

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