Markus Weßling über EU-Wahl und Berliner Spitzenpersonal

Politik schmeichelt den Kirchen – aber ihre Meinung findet kaum Gehör

Anzeige

Kirchenferne Spitzenpolitiker loben die Kirche neuerdings immer öfter, denn sie hält noch Werte hoch, die gerade in der Gesellschaft zu erodieren drohen. Doch es ist ein oberflächlicher Schulterschluss, denn in konkreten Sachfragen interessiert sie die Meinung der Kirche kaum, bedauert Kirche+Leben-Redakteur Markus Weßling.

Es sind Worte, die schmeicheln: Ach, wie schön wäre es, wenn es überall in der Gesellschaft so zivilisiert zuginge wie bei den Katholiken. So hat sich Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) beim Katholikentag geäußert. Gegenseitiger Respekt, zuhören und einander ausreden lassen – wenn das nur überall Standard wäre, „hätten wir alle miteinander mehr vom Leben“.

Und SPD-Mann Kevin Kühnert, selbst konfessionslos, will, dass möglichst viele Katholiken ihrer Kirche erhalten bleiben. Warum? Er sucht Verbündete: Die Gesellschaft brauche auch starke Kirchen als Korrektive in den immer wilder und radikaler werdenden gesellschaftlichen Diskussionen. Ansonsten wachse die Gefahr, dass Demokratiefeinde die Vorherrschaft übernähmen. Das Ergebnis der Europawahl zeigt: Die Sorge ist überaus begründet, der – richtige – Schulterschluss der demokratietragenden gesellschaftlichen Kräfte vor der Wahl, zu denen auch die Kirche gehört, hat die Radikalisierung indes bisher nicht aufgehalten.

Kirchen im politischen Alltag noch relevant?

Doch wie geht man nun um mit den freundlichen Sympathiebekundungen des Berliner Spitzenpersonals? Auch wenn Insider wissen, dass katholische Debattenkultur längst nicht immer so vorbildlich ist – man lässt sich diesen Honig als größtenteils selbstverschuldet schlecht beleumundete Kirche doch ganz gerne ums Maul schmieren.

Aber Obacht: Man darf solche Äußerungen nicht so verstehen, dass damit den Kirchen auch eine Relevanz in der aktuellen Politik zugestanden wird. Zwei Beispiele: Sind es die Kirchen, die mit ihrer Haltung den politischen Diskurs über das Thema Abtreibung maßgeblich prägen? Oder dies: 175 Seiten lang ist das Friedenswort der katholischen Bischöfe aus dem Februar. Wird es ohne Unterlass in Debatten und Entscheidungsfindung in Sachen Gaza und Ukraine-Krieg in Berlin herangezogen, als moralisch-ethische Richtschnur?

Die Kirchen sind Verbündete in den gesellschaftlichen Anstrengungen gegen Extremismus und Verrohung der politischen Kultur. Gut so! Aber in politischen Tagesfragen sind sie für die meisten Regierenden keine Instanz mehr.

Anzeige