Schwester Kathrin Vogt: Hektik rückt in weite Ferne

Auslegung der Lesungen vom 16. Sonntag im Jahreskreis / Lesejahr B

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Jesus mutet seinen Aposteln viel zu. Es entsteht ein regelrechter Hype, würden wir aus heutiger Sicht sagen. Wo bleibt da die Work-Life-Balance? Uns steht es zu, sich auch mal bewusst für die Ruhe zu entscheiden, sagt Schwester Kathrin Vogt und legt die Lesungen dieses Sonntags aus.

Was würden die Apostel, die Jesus ausgesendet hatte, nach der Rückkehr von ihrer Tour durch die Dörfer der Umgebung berichten? Ich stelle mir die Schilderungen des Evangeliums in der heutigen Zeit vor: Würden Sie die Handys zücken und Fotos zeigen? Fotos von glücklich strahlenden Gesichtern, von frisch geheilten Personen, von einem verwüsteten Wohnhaus, das gerade von üblen Dämonen befreit worden war.

Ein Selfie mit dem heiligen Petrus? Um im Bild zu bleiben: Wer achtete auf die Work-Life-Balance der Apostel? Die scheint aus dem Gleichgewicht gekommen zu sein. Das Team von Jesus hat kaum Zeit zu essen, so viele Menschen kommen und suchen Heilung und Hilfe. Da wäre eine kleine Auszeit nicht schlecht.

Jesus verantwortet den Hype um die Apostel

Die Lesungen vom 16. Sonntag im Jahreskreis / Lesejahr B zum Hören finden Sie hier.

Und ihre Privatsphäre? Wo ist der Raum für private Gespräche, für die eigenen Erfahrungen, Sorgen und Ängste der vergangenen Reise? Kaum vorhanden dort am See, denn als das Boot in Richtung „einsame Gegend“ ablegt, hat sich schon herumgesprochen, wo sie hinfahren. Die Leute waren bereits vor Ort, ehe das Boot auch nur anlegen konnte. 

Wer zeigt sich verantwortlich für diesen Hype? Das ist Jesus, der die Barmherzigkeit Gottes verkündet, der die Menschen heilt, sie als ganze Person sieht. Der so ganz anders ist als ein angsteinflößender Gesetzeslehrer. Jesus, der für seine Co-Worker, die Apostel, Verantwortung übernimmt.

Die Euphorie der Menschen

Er hatte sie ausgesandt und ihnen die Vollmacht über die bösen Geister gegeben. Jetzt nimmt er sie in Empfang, hört sich ihre Geschichten an und sieht, dass sie sich ausruhen müssen. In seiner Fürsorge organisiert er ein Boot und möchte sich mit ihnen an einem einsamen Ort erholen.

Aber da war ja noch etwas: die Euphorie der Menschen, die durch Jesus und die Apostel etwas vom Reich Gottes erfahren haben. Sei es die heilende Erfahrung der Befreiung von Schuld, sei es die körperliche oder psychische Genesung. Diese Euphorie löst eine Massenbewegung aus. In heutiger Sprache gesprochen einen echten Hype, eine Welle der Begeisterung schwappt durchs Land.

Jesus nimmt sich Zeit

Als Jesus am Zielort anstelle von Einsamkeit die vielen Menschen sah, hatte er Mitleid. Er sorgte für seine engsten Mitarbeiter, wollte bei ihnen sein und ausruhen, aber er handelt nicht exklusiv. Seine Fürsorge umfasst alle. Er gibt, was er hat: seine Lehre, seine Weisheit, sein Verständnis der Heiligen Schrift. Beim Evangelisten Matthäus heißt es: „Und er lehrte sie lange.“

Die Worte lösen in mir ein Gefühl der Entspannung aus. Hektik und Stress sind vorbei, Jesus ist da und spricht zu den Menschen. Jetzt nimmt er sich Zeit, nicht nur für seine Mitarbeiter, sondern für alle, die ihn hören wollen – lange Zeit, ausführlich.

Nehme ich mir die Zeit?

Ich möchte mich dazusetzen, möchte ihn hören, wenn er den Weg zum Leben erklärt. Gern lass’ ich mir vom Reich Gottes berichten, davon, wie es sein könnte, wenn ich, wenn wir uns darauf einlassen. Tatsächlich bringt mich der Satz „Und er lehrte sie lange“ zum Nachdenken. Er löst Sehnsucht in mir aus, den Wunsch, ihm zuzuhören. Möglicherweise ein bisschen Neid, dass ich nicht die Chance habe, ihn live zu sehen. Und gleichzeitig einen Hauch Unmut, weil ich mich selbst ertappe, dass ich es meistens bin, die sich nicht die Zeit nimmt, ihm zuzuhören.

Es sind Ferien, die offiziell deklarierte Zeit, sich auszuruhen. Schulfrei, Urlaubszeit, und auch wenn man arbeiten muss, läuft alles ein wenig entspannter ab. Die Work-Life-Balance, also die Verbindung zwischen Arbeits- und Privatleben kann gepflegt werden. Man entscheidet selbst, ob man die Privatsphäre des heimischen Gartens bevorzugt oder ob man sie am Badestrand auf eine Handtuchgröße reduziert.

Schöne Ferien!

In eben dieser Entscheidungsfreiheit liegt es, ob ich mich auf den Weg mache, Jesus an einen einsamen Ort zu folgen. Ob ich mir die Zeit nehme, ihm mal wieder etwas länger zuzuhören. Ob ich die Gemeinschaft anderer suche, mit denen ich mich über die Wunder von Jesus austausche, von denen ich mich anstecken lasse, ihn zu suchen. 

Höre ich auf meine Sehnsucht, die das Evangelium in mir auslöst? Bin ich bereit, in meinem Leben die Fürsorge Jesu zu suchen und zu erkennen, sie wertzuschätzen und darin auszuruhen? Vertrauen zu fassen, dass es in schwierigen Situationen weiter geht, dass ich Jesus in meinem Leben finden kann und dass er Zeit hat, lange Zeit, um bei mir zu sein, bis ich ihn erkenne und zur Ruhe komme? In diesem Sinne, schöne Ferien!

Sämtliche Texte der Lesungen vom 16. Sonntag im Jahreskreis / Lesejahr B finden Sie hier.

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