Pater Daniel Hörnemann OSB: Aufstehen gegen die Einsamkeit

Auslegung der Lesungen vom 27. Sonntag im Jahreskreis / Lesejahr B

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„Es ist nicht gut, dass der Mensch allein ist“, spricht Gott in der ersten Lesung dieses Sonntags. Warum Begegnung entscheidend und Einsamkeit zu bekämpfen ist, sagt Pater Daniel Hörnemann in seiner Auslegung der Schrifttexte.

Ich habe ein neues Wort gelernt: „Kodokushi“. Nein, das ist kein Name für ein orientalisches Gericht. Im Japanischen existiert dieses Wort für eine traurige Tatsache. In Japan gibt es seit den 1980er Jahren einen Begriff für Menschen, die in sozialer Isolation leben, vereinsamt sterben und längere Zeit unentdeckt bleiben.

„Kodokushi“ – zu Deutsch „einsames Sterben“ oder „einsamer Tod“. Die Zahl der Suizide in Japan stieg im Corona-Jahr 2020 auf fast 21.000 Menschen, auch immer mehr Frauen begehen Selbstmord. 

Einsamkeit - ein drängendes Problem

Die Lesungen vom 27. Sonntag im Jahreskreis / Lesejahr B zum Hören finden Sie hier.

Gründe dafür werden gesehen in der isolierten Bildschirmarbeit, in Gesundheitsproblemen und vor allem in sozialer Einsamkeit. Um dem zu begegnen, setzte die japanische Regierung 2021 einen eigenen „Einsamkeits-Minister“ ein.

Die Idee ist nicht ganz neu. Bereits 2018 schuf die damalige Premierministerin Großbritanniens, Theresa May, ein eigenes „Einsamkeitsministerium“.

Nicht nur in der Covid-Krise

Zunächst mag das noch für ein geringschätziges oder ironisches Lächeln gesorgt haben. Doch in der noch immer nicht überwundenen Coronakrise mit all ihren Spätfolgen wirkt es erstaunlich vorausschauend. Einsamkeit ist nämlich ohne Zweifel einer der schlimmsten Nebeneffekte von Corona.

Wie viele Menschen mussten sie ertragen in Pflegeheimen und Krankenhäusern, in denen sie höchstens eine einzige Person aufsuchen durfte. Das waren nicht nur alte Menschen. Wie viele fanden sich plötzlich in Isolation und Quarantäne wieder, an die sie vorher nicht im Traum gedacht hätten!

Jemanden haben zum Kommunizieren

Wichtiger noch als eine mögliche Alibifunktion eines Einsamkeitsbeauftragten braucht es die Vorbeugung gegen und die Bekämpfung von Vereinsamung und damit einhergehender Depressionen. Die Covid-Krise hat Einsamkeit ins Licht der Öffentlichkeit gerückt.

Es scheint eine Binsenweisheit zu sein: Geteiltes Leid halbiert sich, geteilte Freude verdoppelt sich. „Teilen“ ist ein Hauptstichwort in den sozialen Medien. Was aber ist, wenn ich niemanden habe, mit dem ich kommunizieren und Gedanken wie Erfahrungen austauschen kann?

"Nicht gut, dass der Mensch allein ist"

Wir haben wohl alle die erste Schöpfungserzählung der Bibel im Ohr. Dort lautet es nach jedem neuen Werk Gottes „Und es war gut“ bis hin zu „Und es war sehr gut“.

Heute vernehmen Sie in der Ersten Lesung das Gegenteil: „Gott sprach: Es ist nicht gut!“ Da haben wir genau den Gedanken, sogar aus Gottes Mund: „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein ist.“ Selbst wenn wir die ganze Welt besäßen, aber niemanden hätten, mit dem wir irgendetwas auf derselben Ebene teilen könnten, wie arm wären wir! 

Keine Kopie, sondern ein Individuum

Der Mensch braucht ein Gegenüber, eine Hilfe, nicht misszuverstehen als Hilfskraft oder Haushaltshilfe. Die Menschwerdung vollendet sich dadurch, dass Adams Menschsein geteilt wird.

Es wird keine Kopie Adams angefertigt, sondern ein neues Individuum geschaffen. Die tiefe Zusammengehörigkeit und Verwiesenheit aufeinander von Mann und Frau, von Mensch und Mensch betont das Bild der Rippe, sie ist dem Herzen am nächsten.

Durch den anderen vollendet der Mensch sein Menschsein

Es braucht keine neue Beseelung. Der freudige Aufschrei des Mannes sagt alles: „Endlich! Diesmal ist sie’s. Bein von meinem Gebein, Fleisch von meinem Fleisch.“ 

Auch die Nennung mit Namen betont die enge Verbindung, Gleichberechtigung und Wesensverwandtschaft: „Ischa“ soll sie heißen, denn vom „Isch“ ist sie genommen, wörtlich: Männin vom Mann.

Erst durch den anderen Menschen vollendet sich das Menschsein. Der Andere ist hochwillkommenes Geschenk, aber sicher auch Last. Was einmal gut begann, endet nicht immer gut. 

In der Begegnung kommt der Mensch zu sich selbst

Das Evangelium spricht realistisch von Trennung und Scheidung, ohne vom Ideal des positiven und dauerhaften Miteinanders Abschied zu nehmen. Im Gegenteil ermutigt es dazu, alles daran zu setzen, dass nichts die Beziehung stört oder gar am Ende zerstört. Schließlich verweist Jesus auf Kinder, die nichts durch Leistung erzielen, sondern nur ihre leeren Hände hinhalten können und sich empfänglich und bereit zeigen für das Geschenk der Beziehung.

Denn niemand ist eine Insel. Der Mensch genügt sich nicht selbst. Gewiss gibt es Momente, in denen man am liebsten niemanden sähe, doch im Grunde ist der Mensch ein Sozialwesen.

„Alles wirkliche Leben ist Begegnung“, sagt Martin Buber. Erst durch das Du wird das Ich. Nur in liebevoller gegenseitiger Solidarität, in Gemeinschaft gibt es Erfüllung, wenngleich sie Lust und Last bedeutet. Erst in der Begegnung kommt der Mensch wirklich zu sich selbst.

Sämtliche Texte der Lesungen vom 27. Sonntag im Jahreskreis / Lesejahr B finden Sie hier.

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