Themenwoche Dankbarkeit (5) - Interview mit Autorin Beatrice von Weizsäcker nicht nur zum Erntedank

Warum Danken seelenwohlheilig ist und Gott unseren Dank nicht braucht

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Danke zu sagen – eine Selbstverständlichkeit, und doch mehr als eine rituelle Floskel. Was da geschieht und warum Danken uns guttut, verrät Autorin Beatrice von Weizsäcker im Kirche+Leben-Interview.

Frau von Weizsäcker, haben Sie sich heute schon für etwas bedankt? Bei wem? Wofür?

Das habe ich tatsächlich – bei meinem geistlichen Begleiter, bei dem ich heute Morgen war. Wofür ich ihm dankte, bleibt privat.

Kinder mahnte man früher „Was sagt man?“, um ihnen ein „Danke“ zu entlocken. Es gehörte sich, Danke zu sagen – heute scheint es mehr und mehr aus der Mode zu kommen.

Kindern beizubringen, Danke zu sagen, halte ich schon für wichtig. Man sollte ihnen aber auch sagen, warum es gut ist, sich zu bedanken. Zum Beispiel, damit sie nicht alles als selbstverständlich hinnehmen. Wenn der Dank zur bloßen Höflichkeitsfloskel verkommt, ist er sinnlos. 

Schauen wir genauer hin. Was geschieht eigentlich, wenn ein Mensch dem anderen für etwas dankt?

Ich kann nur über mich sprechen. Wenn ich dankbar bin, werde ich demütig, im positiven Sinn. Dankbarkeit macht mich bescheidener, andächtiger, weil mir etwas gegeben, geschenkt wurde, das mit gutgetan hat, vielleicht weil es mir geholfen oder mich getröstet hat. Oder weil es mich einfach gefreut hat.

Geht Ihnen das auch so, dass es richtiggehend unangenehm ist, wenn Ihnen gedankt wird? 

Das stimmt. Ich finde oft, dass das gar nicht nötig ist. Ich helfe einfach gern.

Deshalb sagt man im Norden als Antwort „Da nicht für“.

Das kenne ich! In Bayern, wo ich lebe, sagt man „Vergelt’s Gott!“. Das mag ich sehr. Wenn ich einem Menschen danke, bekommt der Dank durch die Worte „Vergelt’s Gott“ noch etwas Höheres als es mein Dank ausdrücken kann. 

Braucht Gott eigentlich unseren Dank? 

Nein. Wenn man glaubt, dass Gott da ist, ist Gott da – auch wenn ich ihm nicht danke. Er ist sicher nicht von meinem Dank abhängig. Wenn ich Gott als meinem Schöpfer danke, hat das mehr mit mir als mit Gott zu tun: dass es mich gibt, dass er mich will, so wie ich bin.

Warum „brauchen“ wir Dank? 

„Brauchen“, was heißt schon brauchen. Wenn ich jemandem danke, öffne ich mich ihm oder ihr, indem ich sage, dass das, was diese Person getan hat, gut für mich war. Ich offenbare mich ihr in der Freude. Wenn ich Dankbarkeit äußere, weitet sich etwas in mir - der Blick über die konkrete Situation hinaus. Jemand hat mir zugehört, hat mir einen guten Rat gegeben, hat mit mir eine Kerze angezündet, hat mit mir geschwiegen, und ich danke dafür. Das macht mich frei. Und es führt aus der Verengung des Moments in etwas Weiteres, Höheres.

Viele Menschen sagen, besonders wenn sie älter werden, sie empfänden im Blick auf ihr Leben große Dankbarkeit. Eine Luxuserfahrung?

Das hängt natürlich davon ab, was ein Mensch im Leben erlebt hat. Wenn man älter wird, ändert sich der Blick auf das, was gewesen ist: das Schöne, das Gute, die Schicksalsschläge, die Verluste, die Fehler. Auch jene, die man nicht mehr gut machen kann. Wenn man versucht, im Blick auf die Vergangenheit mit anderen, sich selber und Gott ins Reine zu kommen, und das gelingt, kann man sehr dankbar sein. Denn es befreit die Seele und bringt inneren Frieden. Das geht sicher nicht immer. Es kann Dinge geben, die man nicht verzeihen kann, das kenne ich selbst. Aber wenn ich lerne, damit zu leben, gelingt ein versöhnlicher Rückblick aufs Leben schließlich doch. Dankbarkeit ist das Ergebnis dieses Prozesses, nicht der Beginn.

Anfang Oktober feiern wir Erntedank, vor allem auf dem Land. Wie kann das mehr als Folklore sein? Wie verstehen Sie dieses ja auch in Gottesdiensten gefeierte Fest?

Wenn es irgend geht, fahre ich zum Erntedank immer aus der Stadt München, wo ich lebe, hinaus in einen kleinen Ort oberhalb von Bad Tölz. Dort in der Kirche Erntedank zu feiern, ist keine Folklore, sondern geradezu seelenwohlheilig. Die Menschen schmücken die Ernte so wunderbar, richten sie bewusst für Gott und die Gemeinde her – da geht mir das Herz auf. Gerade in dieser Volkstümlichkeit zeigt sich der Reichtum des Festes. Das geht weit über die Dankbarkeit für die buchstäbliche Ernte hinaus.

Was meinen Sie?

Wenn ich einen solchen Gottesdienst mitfeiere, denke ich wie von selbst an den Dank für andere Ernten in meinem Leben: Was konnte ich in meinem Leben ernten? Was kann ich dazu beitragen, dass meine Lebens-Ernte gut oder sogar besser wird? Diese feierliche Vergnügtheit des Erntedankfestes ist eine wunderbar schwebende Basis, um darüber nachzudenken: Was heißt Ernte, wofür kann ich dankbar sein – für Freundschaften, die Familie, Beziehungen? Und wo sind Brachflächen, auf denen noch etwas gedeihen kann, auf denen ich vielleicht noch etwas wachsen lassen kann? Erntedank legt einfach wunderbar sichtbar die Freude über die Ernte unter den Altar.

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