Philipp Gessler zu Spaltungen in der Demokratie

Kirchen funktionieren kaum als Brückenbauer in gespaltener Gesellschaft

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Wie kann die Demokratie gestärkt werden? Wie können die Gräben in der Gesellschaft wieder zugeschüttet werden? Diesen Fragen stellt sich Philipp Gessler in seinem Gastkommentar und hat eine klare Antwort, welche Rolle die Kirchen dabei noch spielen können.

Die schockierenden Bilder des Attentats auf den Ex-Präsidenten der USA, Donald Trump, der eine zweite Amtszeit erreichen will, wirken auch hier in Deutschland nach. Wenn nicht der jetzige Präsident Joe Biden recht bald zurücktritt und er einer jüngeren Person den Posten als Spitzenkandidat für die „Demokraten“ übergibt, dürfte Trump das mächtigste Amt in der wichtigsten Demokratie des Globus nicht mehr zu nehmen sein.

Die USA stehen, auch wegen eines unfassbaren Urteils des Obersten Gerichts zur Immunität im Präsidentenamt, an der Schwelle zu einer Diktatur, bestenfalls zu einer Autokratie. Nur in einer, im wahrsten Sinne des Wortes, bis aufs Blut gespaltenen Gesellschaft ist ein solches Attentat und eine solch katastrophale Entwicklung denkbar.

Wie können die Kirchen der Demokratie helfen?

Der Autor
Philipp Gessler ist Journalist, Sachbuchautor und Redakteur des evangelischen Monatsmagazins „zeitzeichen“. Unter anderem beobachtet er die Entwicklung der katholischen Kirche, in Deutschland etwa beim Synodalen Weg, und berichtet darüber.

Von einer solch krassen Polarisierung und einer akuten Gefahr für die Demokratie ist die deutsche Gesellschaft noch weit entfernt – aber die Zeichen an der Wand sind hier ebenfalls zu sehen. Auch in der Bundesrepublik ist die Spaltung der Gesellschaft massiv. Es ist eine Spaltung in demokratisch-rechtspopulistisch/rechtsextrem, in Stadt und Land, in Arm und Reich, um nur die wichtigsten und tiefsten Gräben zu nennen.

Können die (Volks-)Kirchen etwas dagegen tun? Theoretisch ja, denn sie sind, obwohl nur noch etwa die Hälfte der Bevölkerung ihnen angehört, qua biblischem Auftrag die großen Brückenbauer in der Gesellschaft: eben über alle Gräben der politischen Einstellung, des Wohlstands und der Lebensweise hinweg. Aber die Kirchen gelingt es nicht, dieser Aufgabe gerecht zu werden. Sie mögen kluge Papiere gegen den Völkischen Nationalismus und den Wert der Demokratie sowie die Gefahr durch die AfD schreiben. Aber das erreicht nur noch die, die sowieso ganz ihrer Ansicht sind.

Mehr um die Hasser bemühen

Die, man kann es nicht anders sagen, Hasser der Demokratie, der Fremden und der „Wessis“ sind oft klar antikirchlich, auch wenn sie verbal ganz gelegentlich das „christliche Abendland“ hochhalten. Was die Kirchen zu sagen haben, all ihre Mahnungen, ihre wortreichen Versuche eben des gesellschaftlichen Brückenbaus, gehen bei diesen Leuten ins eine Ohr rein und ins andere wieder raus. 

Um diese Menschen zu erreichen, müssten sich die Kirchen wieder in ihrer Sprache, aber auch in ihrem diakonisch-seelsorgerlichen Engagement viel mehr um diese Hasser kümmern, vor Ort und ganz nahe. Und vielleicht ist auch eine Neumission genau in diesen so fremden Kreisen nötig.

Ob das gelingt? Das ist sehr ungewiss. Aber die Mühe wäre es wert.

In unseren Gastkommentaren schildern die Autor:innen ihre persönliche Meinung zu einem selbst gewählten Thema. Sie sind Teil der Kultur von Meinungsvielfalt in unserem Medium und ein Beitrag zu einer Kirche, deren Anliegen es ist, die Zeichen der Zeit zu erkennen.

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