Chefredakteur Markus Nolte zu den Wahlen in Ostdeutschland

Der wirklich gefährliche Wahlsieger von Thüringen und Sachsen

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Was die AfD angeht, brachten die Wahlen in Thüringen und Sachsen die erwartbaren Ergebnisse. Doch es lohnt, genauer hinzuschauen, sagt unser Chefredakteur Markus Nolte in seinem Kommentar. 

Rein prozentual ist der mit Abstand größte Wahlverlierer in Thüringen und Sachsen „Die Linke“ (-18 Prozent in Thüringen, -6 Prozent in Sachsen). Das haben, allen TV-Binsen-Apokalypsen entgegen, nicht mal die Ampelparteien geschafft. Profitiert hat am meisten das BSW (+16 Prozent/+12 Prozent) – und wie erwartet die dort gesichert rechtsextreme AfD, die aber auch nur im Höckeland Thüringen annähernd hohe Zugewinne erzielen konnte (+9,4 Prozent/+3,3 Prozent).

Das Ende vom Lied: Geplant politisches Chaos. Der Verführer: Populismus und verweigerte Realpolitik nicht nur bei den genannten Parteien. Der Verursacher: Wählerinnen und Wähler, die wählen dürfen, weil es ihnen jene errungene Freiheit ermöglicht, die sie durch ihre Wahl tumb gefährden. 

Wodka in Moskau

AfD-Chefin Alice Weidel käut schon am Wahlabend verlässlich Trumps Lüge von „gestohlenen Wahlen“ blökend wieder – für den Fall, dass Demokratie noch nachhaltig funktioniert und alle sie rettenden Parteien sich regierungstechnisch doch irgendwie zusammenraufen.

Der größte politische Gewinner schlürft ohnedies vermutlich seit Sonntagabend permanent bei hochgelegten Beinen einen Wodka nach dem anderen. Ob die Lakaien AfD oder BSW heißen, schert den Mann in Moskau wenig. Knapp die Hälfte der Wählenden in Sachsen und Thüringen offenbar auch nicht.

Der aktuelle Verführungs-Slogan

Der mächtigste politische Gewinner in ganz Deutschland aber ist seit Sonntag verbrieft: Angst. Die größte ist die vor dem Fremden, Unheimlichen – offenkundig nicht zuletzt in uns selbst. Konsequenterweise hat die in breiten Teilen rechtsextreme AfD ihren Verführungs-Slogan für die Bundestagswahl längst beschlossen: „Deutschland, aber normal.“ Was impliziert, dass es einen geben wird, der definiert, was „normal“ ist. Und vor allem, wer es nicht ist. Heißt: Es kann jeden erwischen. 

Wer alles „weg muss“, ist vorformuliert, die Parolen längst geübt: Einst reichte „Merkel“, jetzt heißt es „Deutschland den Deutschen“ und „Volksfeste ohne Flüchtlinge“. Deutschland den Weißen, den Gesunden, den Nicht-Muslimen, den Nicht-Juden, den eindeutig Heterosexuellen, denen ohne Kopftuch und denen ohne „Gender-Wahn“. Mehr als ein Drittel der Deutschen ölt die Stimmen für den eintönig grölenden „Deutsche zuerst!“-Block – gegen den anspruchsvoll-vielstimmigen Freiheits-Chor.

Höckes „dämliche“ Brandmauer

Ich weiß, was ich sage. Ich weiß, was ich klage. Meine Lebenangstzeit endete 52-jährig erst vor sechs Jahren. Bis heute können das manche Kirchenmenschen nicht verstehen. Umso bewegter sehe ich die Gesichter so vieler junger, verletzlicher Menschen, die aufblühend-vertrauensvoll endlich die Vielfalt unseres freien Landes feiern. Das ließe mich stolz sein auf diese, gegen viele Widerstände – auch einer ängstlichen und Angst schürenden Kirche – errungene Freiheit. 

Wieder aber sind wir dabei, ein Land zu werden, das weit vor den Außengrenzen ausgrenzt. Volksheld Höcke nannte am Wahlabend Brandmauern „dämlich“. Das dürften die für ihn einzigen problematischen Grenzen sein. Er sagte das so obskur wissend, dass „dämlich“ ziemlich dünn scheint. Wer hören kann, der höre.

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