ZdK-Chefin Stetter-Karp: Saat der Populisten und Extremisten geht auf

AfD-Erfolge in Sachsen und Thüringen: Juden und Kirchen erschüttert

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Nach dem Erstarken der AfD bei den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen warnen Vertreter des Judentums und von Holocaust-Überlebenden vor einem Ende der freien Gesellschaft. Kirchenvertreter mahnen, für Weltoffenheit zu kämpfen. 

Erschütterung und große Sorge prägen die Reaktionen aus der jüdischen Welt und aus den Kirchen auf die AfD-Erfolge bei den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen. Die Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Irme Stetter-Karp, sorgt sich, dass „die Saat populistischer und extremistischer Kräfte immer mehr aufgeht“.

Die AfD trete die liberale Demokratie mit Füßen, wolle keine Kompromisse, nicht das Aushandeln des Möglichen. Die oberste Vertreterin der katholischen Laien erinnert daran, dass die AfD-Landesverbände in Sachsen und Thüringen vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft werden. Es brauche demokratische Regierungsmehrheiten jenseits der AfD.

ZdK-Chefin sieht auch Wagenknecht-Partei skeptisch

Auch das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) sieht die ZdK-Präsidentin kritisch. Es müsse eine Frage klären: „Handelt es sich um eine Partei im Sinne des Grundgesetzes oder um das Projekt einer Einzelpersönlichkeit, die auf Bundes- und Landesebene gleichermaßen das Zepter in der Hand behalten will?“ Zudem kritisiert Stetter-Karp die Haltung des BSW zum völkerrechtswidrigen russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und die populistische Systemkritik an der liberalen Demokratie.

Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, fordert, die "freie Gesellschaft" dürfe nicht fallen: "Ungeschminkte Wahrheiten - Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit - sind gefragt, keine populistischen Scheinantworten radikaler Parteien", schreibt er in einem Gastkommentar für "bild.de".

„Durch Protest manifestierte rechtsextreme Ideologie“

Immer mehr Menschen wählten die AfD aus politischer Überzeugung, aus "durch Protest manifestierter rechtsextremer Ideologie", fügt er hinzu. Zudem sei beim BSW noch vieles unbekannt, "aber das, was wir von dieser neuen Partei und ihrem Spitzenpersonal wissen, lässt nichts Gutes erahnen".

Eine Abkehr von der bisherigen politischen Kultur der Bundesrepublik sieht die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch. Deutschland drohe, ein anderes Land zu werden.

„Bewusste Entscheidung - keine Protestwähler“

Niemand solle noch von Protestwählern sprechen "oder andere Ausflüchte suchen", mahnt die frühere Präsidentin des Zentralrats: "Die zahlreichen Wähler haben ihre Entscheidung bewusst getroffen, viele wollten die Extremisten an den Rändern in Verantwortung bringen." Nicht nur Minderheiten müssten sich jetzt fragen, was diese Entwicklung für jede und jeden Einzelnen bedeute.

Als "zutiefst deprimierend" bewerten Holocaust-Überlebende die Ergebnisse. Die Entwicklung erschwere das Vertrauen, das diese Menschen "Deutschland mittlerweile wieder entgegenbringen", sagt der Vizepräsident des Internationalen Auschwitz -Komitees, Christoph Heubner.

Evangelischer Bischof: Kirche will Orte für Verständigung anbieten

Bislang sei es unvorstellbar gewesen, dass in Deutschland "so viele Menschen einer Partei vertrauen, die mehr als braun gesprenkelt ist und sogar von anderen rechtsextremen Parteien in Europa als zu vergangenheitsbelastet ausgegrenzt wird". Heubner ruft die Mehrheit auf, die Demokratie zu verteidigen.

Der für Thüringen zuständige evangelische Landesbischof Friedrich Kramer erklärt: "Wir haben uns in den letzten Monaten mit vielen Partnern zusammen für ein weltoffenes Thüringen engagiert. Das werden wir fortsetzen. Wir werden weiterhin viel miteinander im Gespräch sein müssen. Dafür werden Kirche und Diakonie Verständigungsorte anbieten."

Bedeutung der „Brandmauer“

Der Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, Thorsten Latzel, nennt die Wahlergebnisse "erschreckend". Die evangelische Kirche werde sich "weiter für eine offene Gesellschaft und die Stärkung der Demokratiefähigkeit engagieren", sagt er dem "Kölner Stadt-Anzeiger". Die Politik müsse Probleme angehen; zudem brauche es "mehr Dialog und klare Abgrenzung gegen Hass und Hetze".

Die Amadeu-Antonio-Stiftung mahnt mit Blick auf die anstehenden Regierungsbildungen: "Jede Spekulation über eine Zusammenarbeit mit der AfD trägt zur weiteren Normalisierung des Rechtsextremismus bei. Bis jetzt hat die Brandmauer erheblich dazu beigetragen, die Entwicklung des parteiförmigen Rechtsextremismus zu hemmen."

Stiftung: Demokratische Bildung in Schulen

Besonders besorgniserregend sei der hohe Zuspruch der AfD unter jungen Menschen. "Das zeigt, dass wir in der Schul- und Jugendsozialarbeit sowie in der Prävention noch viel mehr tun müssen, um Jugendliche vor rechtsextremen Einflüssen zu schützen."

Bei den Landtagswahlen in Thüringen wurde die AfD stärkste Kraft. Sie kommt auf 32,8 Prozent der Wählerstimmen, gefolgt von der CDU mit 23,6 Prozent. In Sachsen liegt die AfD mit 30,6 Prozent auf Rang zwei hinter der CDU mit 31,9 Prozent.

Update 10.55 Uhr: Reaktion ZdK (jjo.)

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