Ein Wort, ein Bild, ein Gedanke - von Stephan Wahl

Sichtweisen (11): SPITZBÜBISCH

Anzeige

Will ich ein Spitzbube sein – oder so handeln? Eine Zuschreibung, die Argwohn unter Mitmenschen auslösen kann – aber auch für Leichtigkeit und Gelassenheit steht.

Zur Priesterweihe habe ich vor vielen Jahren sehr freundliche und tüchtig-fromme Glückwünsche erhalten. Ein Wunsch hat mich damals ganz besonders gefreut. Er stammte vom Basler Theologen Hans Urs von Balthasar. Die Postkarte mit seinem Glückwunsch hat mich bis heute begleitet. Darauf steht unter anderem: „Mischen Sie ein Quäntchen spitzbübischen Abenteurergeist in das ernsthafteste Suscipe…“

Ich habe mich, soweit es mir möglich war, seit 36 Jahren sehr gern an diesen Rat gehalten – nicht immer zur Freude meiner jeweiligen Oberen. Die Kombination von Suscipe, also dem zur Priesterweihe klassischen Begriff der Hingabe (an Gott) mit dem munteren Begriff „spitzbübisch“ ist schon etwas außergewöhnlich. Würde man an die ursprüngliche Bedeutung von „spitzbübisch“ denken, müsste man wohl eher die Stirn runzeln und den Begriff als völlig unpassend abtun. Denn jemand zu wünschen „diebisch“ oder „betrügerisch“ zu sein, also ein verschlagener „Spitzbube“ im ursprünglichen Sinn, der es auf raffinierte Weise schafft, anderen Leuten das Geld aus der Tasche zu ziehen oder sie anderweitig über das Ohr zu hauen, wäre wahrhaft ein völlig abwegiger Wunsch. Nicht nur zu einer Priesterweihe.

Wie sich eine Bedeutung ändert

Aber mittlerweile hat sich die ursprünglich negative Benutzung des Begriffs im Sprachgebrauch gewandelt und schlägt man jetzt den Begriff nach, erhält man neben der ursprünglich-historischen Bedeutung, die mit „veraltet abwertend“ markiert ist, die angenehmeren Synonyme „verschmitzt, schalkhaft, schelmisch“. Damit kann ich schon eher etwas anfangen.

In dieser Weise etwas spitzbübisch zu agieren, würzt den strengen, ernsten Alltag mit einer Portion Leichtigkeit, Gelassenheit und Humor, der oft nötig ist, um manche Probleme und Zeitgenossen zu ertragen. Spitzbübisch sein, eine feminine Form gibt es nicht oder ließe sich nur schwer konstruieren, heißt auch sich selbst nicht zu wichtig nehmen, nicht alles immer zu ernst sehen, und auch sich nicht vor ungewöhnlichen, neuen, kecken Wegen und Entscheidungen zu scheuen.

Eine Prise Spitzbübigkeit

SICHTWEISEN
Ein Wort, ein Bild, ein Gedanke – das sind die „Sichtweisen“, die einmal in der Woche ins Nachdenken bringen wollen, Welten eröffnen, Leben entdecken, Gott suchen helfen. Menschenlebensnah und gottverbunden. Jeder Monat wird von einer Autorin oder einem Autoren textlich gestaltet; die Redaktion von Kirche+Leben sucht zu dem jeweiligen Stichwort frei ein Foto.

Wer sich eine gewisse Dosis „Spitzbübigkeit“ im Sinne von sympathisch verschmitzt gönnt und sie zulässt, bewahrt sich und andere vor einer humorlosen, bierernsten und verkrampften Haltung, die zwar objektiv korrekt, aber klar und unnahbar sein kann. 

Da ist mir auch unter den Heiligen eine Gestalt wie der „lachende Heilige“ Phillip Neri näher und sympathischer als manch’ anderer eher strenger Heiliger. Eine Kostprobe seiner Spitzbübigkeit im heiteren Sinne: Als Jugendlicher im Internat kam er oft zu spät und fand nicht aus dem Bett. Sein Erzieher ermahnte ihn: „Wenn es läutet, stell dir vor, du bist im Fegefeuer und Gott ruft dich.“ 

Am nächsten Tag war er aber wieder verspätet. Seine Entschuldigung: „Ja, ich dachte an das Fegefeuer. Dann aber sagte ich zu mir selbst: Du hast schon so viele Dummheiten gemacht. Du musst wohl länger im Fegefeuer bleiben – und da bin ich liegen geblieben.“ 

Das Leben mit einer Prise Spitzbübigkeit würzen hält frisch, macht schlagfertig und färbt das Leben – augenzwinkernd. Egal in welchem Alter.

Anzeige