Themenwoche Profanierte Kirchen (1) - Ausstellung in Essen

Was aus profanierten Gotteshäusern entstehen kann

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Nahezu jede zweite Kirche in Deutschland wird nach Experten-Einschätzung in den nächsten Jahrzehnten geschlossen. Was also tun mit leeren Kirchengebäuden? Eine Ausstellung gibt Anregungen.

Kirchen sind mehr als nur Versammlungsorte für Gottesdienste. Sie sind darüber hinaus Orte der Gemeinschaft, mit denen viele Erinnerungen und Emotionen verbunden sind. „Aber sie stellen auch ein einzigartiges baukulturelles Erbe dar“, sagt Felix Hemmers vom Museum der Baukultur in Nordrhein-Westfalen im Gespräch mit Kirche+Leben.

Das Museum in Essen-Katernberg zeigt ab dem 1. September 2024 die Ausstellung „Kirchen als Vierte Orte – Perspektiven des Wandels“ und stellt anhand von 27 Beispielen dar, was aus den nicht mehr genutzten und profanierten Kirchenräumen entstehen kann. Rund 500 Gotteshäuser sind seit dem Jahr 2000 allein in NRW geschlossen worden, um die 100 im Bistum Münster – entsprechend aktuell ist die Schau mit Bildern und Texten sowie 13 Video-Installationen.

Bis zu 3.000 Kirchenschließungen in NRW

Hemmers ist Kurator der Ausstellung. In den vergangenen Jahren hat er sich intensiv mit den Kirchenschließungen in Nordrhein-Westfalen beschäftigt, darunter mit mehreren im Bistum Münster.

Er schätzt, dass in den nächsten 30 bis 40 Jahren fast jedes zweite Gotteshaus leer stehen wird: „Für Nordrhein-Westfalen bedeutet das die Schließung von bis zu 3.000 der etwa 6.000 Kirchen. Das ist ein gewaltiger Prozess, vor dem die evangelischen Landeskirchen und katholischen Diözesen und vor allem die Gemeinden stehen“, sagt Hemmers.

Identitätsraum im Stadtviertel

Themenwoche Profanierte Kirchen
Nahezu jede zweite Kirche in Deutschland wird nach Experten-Einschätzung in den nächsten Jahrzehnten geschlossen. Was also tun mit leeren Kirchengebäuden? Eine Ausstellung gibt Anregungen, wir stellen Beispiele vor.

Ihn faszinieren die Gebäude, die Architektur, die für eine Identität im Stadtraum steht. „Wenn es zu einer Schließung oder gar zu einem Abriss kommt, entstehen Konflikte. Fast jeder Umnutzungsprozess ist langwierig, kostet Kraft und erzeugt Verärgerung. Viele Beteiligte sprechen mit. Das macht es nicht leichter“, hat Hemmers festgestellt.

Der 29-jährige Innenarchitekt betreut für den Verein Baukultur Nordrhein-Westfalen das Projekt „Zukunft-Kirchen-Räume“, eine Informationsplattform für die Umnutzung von Kirchengebäuden. Zudem betreibt er einen Blog, der sich mit Beispielen umgenutzter Sakralräume auseinandersetzt.

Handlungsdruck in den Pfarreien

Der Verein kommuniziert und organisiert baukulturelle Themen. Mit dem Museum inszeniert er gesellschaftliche Fragen und Entwicklungen. Gefördert wird der Verein Baukultur NRW vom Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung in Düsseldorf.

„Der Handlungsdruck in den Gemeinden und Pfarreien ist in letzter Zeit noch einmal deutlich gestiegen“, erläutert Hemmers. Er beobachtet auch Beispiele aus dem Bistum Münster, wo beispielsweise die Pfarrei St. Pankratius in Emsdetten im Kreis Steinfurt bis 2027 vier ihrer insgesamt sieben Kirchen aufgeben muss und gegebenenfalls umnutzen wird.

Kirchengebäude als „Vierte Orte“

Für die Ausstellungsmacher bilden Kirchengebäude sogenannte „Vierte Orte“, weil sie Menschen Raum für Austausch, Spiritualität und Einkehr ermöglichen und so einzigartige Atmosphären und emotionale Qualität ermöglichen. Damit erzeugen sie etwas Neues, einen „Vierten Ort“, der über die Funktion als Treffpunkt für die Gemeinschaft – die sogenannten Dritten Orte – hinausgeht. Auch wenn Kirchen keine kommunalen Gebäude seien, ließen sie sich durchaus als Gemeinschaftsgut betrachten, so Hemmers.

Die vorgestellten 27 Projekte zeigen eine beeindruckende Vielfalt, wie die inhaltliche und architektonische Kirchentransformation gelingen kann. So wurde aus der Friedenskirche in Bochum ein interkulturelles Stadtteilzentrum, aus der Kirche St. Rochus in Jülich ein Fahrradgeschäft und aus der Kreuzkirche in Essen ein Veranstaltungsort mit Gottesdienstnutzung. Die evangelische Dreifaltigkeitskirche in Köln wurde in ein Aikido-Dojo transformiert. Ein Dojo ist ein Ort der Stille, an dem meditiert und die japanische Selbstverteidigungskunst trainiert wird.

Beispiele aus dem Bistum Münster

Auch aus dem Bistum Münster sind mehrere Beispiele zu sehen: Unter anderem entstanden in der Dreifaltigkeitskirche in Münster Wohnräume für obdachlose Menschen, in der Kirche Maria Königin in Dülmen im Kreis Coesfeld mehrere sozial geförderte Kleinwohnungen und in der St.-Johannes-Kirche in Telgte im Kreis Warendorf Räume für eine Kindertageseinrichtung.

An 13 Bildschirmen werden Videos gezeigt. Interviews mit Denkmalschützern, Architekten, kommunalen und kirchlichen Entscheidern, mit Kirchenvorständen, Gemeindemitgliedern und Protestierenden geben Einblicke, wie Dialog und Kompromissfindungen möglich sind. „Die Interviews zeigen, wie komplex die Umgestaltungsprozesse verlaufen. Ein Denkmalschützer denkt anders als ein Gemeindemitglied“, sagt Hemmers.

Informationen zum Denkmalschutz

Der Kurator hofft, mit der Ausstellung Anregungen geben zu können, welche Nutzungen möglich sind. Informationen gibt es darüber hinaus zum Denkmalschutz und zur Rolle der Stadtplaner.

Die Ausstellung
Das Museum der Baukultur NRW rückt vom 1. September bis 6. Oktober 2024 in der Ausstellung „Kirchen als Vierte Orte – Perspektiven des Wandels“ Menschen in den Mittelpunkt, die sich aus unterschiedlichen Gründen heraus mit Kirchentransformationen beschäftigen. Präsentiert wird die Ausstellung in der Heilig-Geist-Kirche am Meybuschhof 9 in Essen-Katernberg. Geöffnet ist die Schau mittwochs bis freitags von 15 bis 20 Uhr sowie samstags und sonntags von 10 bis 18 Uhr. Der Eintritt ist frei. Begleitend zur Ausstellung ist am Donnerstag, 5. September, um 19 Uhr eine Diskussion über „Das Kirchenmanifest“. Das Manifest steht für den Vorschlag, eine gemeinschaftlich getragene Stiftung ins Leben zu rufen. Sie soll bei den Ideenfindungen und Transformationsprozessen für neue Nutzungen der Kirchengebäude helfen.

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