Stefan Leifert über ein ganz besonderes Sommermärchen

Das EM-Fußballfest straft alle giftigen Spaltungs-Fetischisten Lügen

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Ob Sommermärchen oder nicht - die Stimmung stimmt. Das ist weit mehr als “nur” ein Sportereignis, es hat Bedeutung für ganz Europa - und für jene, die dieses Europa vergiften. Sagt ZDF-Journalist Stefan Leifert in seinem Gast-Kommentar.

Europa bebt. Und endlich mal nicht vor Wut! Die Fußball-Europameisterschaft holt gerade das Beste aus uns heraus. Wie auch immer die EM ausgeht: Daran sollten wir uns noch lange erinnern.

Als ich in die mit Fußballfans vollgestopfte U-Bahn zur Münchner EM-Arena steigen und wegen Überfüllung schon zurückweichen wollten, winkte mir eine Gruppe serbischer Fans zu, rief „herzlich willkommen“ zu und quetschte sich noch enger zusammen, um mir Platz zu machen.

Kleine Szenen erzählen von Großem

Der Autor
Stefan Leifert stammt aus Haltern. Er arbeitet seit 2005 als Journalist für das ZDF, berichtete als Korrespondent aus Berlin und Brüssel. Seit 2021 leitet er das ZDF-Landesstudio Bayern in München. Im August übernimmt Leifert die Leitung der Redaktion „heute journal".

Auf dem Münchner Marienplatz liegen sich Fremde aus allen Ländern in den Armen, Österreicher lachen mit Polen über ihre sprachlichen Missverständnisse. Ungarn feiern mir Schweizern, Albaner albern mit Italienern herum, Niederländer tanzen mit Leipzigern gut gelaunt durch die Straßen, dänische Fans singen deutschen Polizisten ein Ständchen. Oder haben Sie die Schottland-Fans gesehen, die eine alte Dame mit Rollator im strömenden Kölner Regen nach Hause begleiten und den Schirm über sie halten?

Es sind die vielen kleinen Szenen, die von etwas Großem erzählen. Europa feiert in Deutschland eine Fußball-Party und lässt dabei aufleben, was in der Schwere unserer Zeit von Corona-Depression, Ukraine-Krieg und gesellschaftlicher Spaltung verschüttet war. Diese EM erzählt vom altmodisch anmutendem Begriff der Völkerverständigung, von der Sehnsucht nach Verständigung, von Zusammengehörigkeit und Solidarität. 

Ein Mega-Erfolg: Das Diversity-Trikot

Das fröhliche Fußballfest straft alle Lügen, die mit viel Gift versuchen, das Fußballfest für ihren Spaltungs-Fetisch zu missbrauchen. Alle Versuche, Wut gegen die falsche Trikotfarbe, Hautfarbe oder Religion zu schüren, gingen bis jetzt ins Leere. 

Das Diversity-Trikot der deutschen Mannschaft ist das meistverkaufte deutsche Auswärtstrikot aller Zeiten. Die Spalter, die ihr Spiel vom „Drinnen“ und „Draußen“ spielen wollen, sehen recht blass dagegen aus.

Mahmal gegen Europa-Zerstörer

Klar: auch ein Sommermärchen ist Momentaufnahme. Aber sie liefert uns die dringend nötige Erinnerung an das, was uns offenbar wichtiger ist, als Europas Spalter glauben machen wollen: die Suche nach dem Verbindenden statt dem Trennenden, die Freude am Verschiedensein, die Schönheit von Verständigung. Die feiernden Fußball-Fans aus ganz Europa setzen ein Mahnmal gegen alle, die Europa mit Desinformation, Hass-Posts und autoritären Sehnsüchten aus den Angeln heben wollen.  

Die Schwerelosigkeit dieses Sommers tut gut. Wir sollten uns daran erinnern, wenn der Wind bald wieder von vorne bläst.  

In unseren Gast-Kommentaren schildern die Autor:innen ihre persönliche Meinung zu einem selbst gewählten Thema. Sie sind Teil der Kultur von Meinungsvielfalt in unserem Medium und ein Beitrag zu einer Kirche, deren Anliegen es ist, die Zeichen der Zeit zu erkennen.

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