Medienwissenschaftlerin Anna Grebe im Kirche+Leben-Interview

Europawahl: Warum die AfD in der jungen Generation so stark ist

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Europa hat gewählt. Besonders spannend war dabei, wie sich in Deutschland die Altersgruppe der 16- bis 24-Jährigen entschieden hat. Die meisten Stimmen erhielten CDU und AfD, so Meinungsforschungsinstitute. Die Grünen verloren drastisch im Vergleich zur Wahl 2019. Ein Blick lohnt sich auch auf die Kleinstparteien: Auf sie entfiel fast ein Drittel der Stimmen der jungen Wählerinnen und Wähler. Die Medienwissenschaftlerin Anna Grebe ist Expertin in der politischen Partizipation junger Menschen und ordnet die Wahlergebnisse im Kirche+Leben-Interview ein.

Frau Grebe, deutliche Gewinne für die AfD, hohe Verluste für die Grünen bei der jungen Wählergeneration: Woher kommen diese Wahlergebnisse?

Zur Person:
Die Medienwissenschaftlerin Anna Grebe ist Expertin für politische Partizipation von Kindern und Jugendlichen. Bekannt ist sie auch für ihr Engagement in der katholischen Jugendverbandsarbeit. In ihrem Podcast „Berufsjugendlich“ spricht sie als Co-Host über jugendpolitische Themen. Grebe ist zudem Mitglied im Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK).

Wir haben durch die Trend-Studie „Jugend in Deutschland 2024“ Hinweise erhalten, dass die junge Wähler*innengruppe bis 24 Jahre stark mit der AfD sympathisiert. Insofern hat mich das nicht gewundert. Anders ist das bei den starken Einbrüchen bei den Grünen. Es war nicht in dem Maße abzusehen, dass Menschen, die sonst eher grün wählen, jetzt doch eher zu Volt oder zur Linken oder sogar zum „Bündnis Sahra Wagenknecht“ (BSW) wandern.

Warum die jungen Menschen so gewählt haben, darauf gibt es keine einfachen Antworten. Es gibt mehrere Probleme, die ganz unterschiedliche Lösungen erfordern. Wir sehen zum einen, dass die AfD für junge Wähler*innen bis 24 eine völlig etablierte Partei ist, weil diese Generation nicht deren Anfänge der Radikalisierung erlebt hat.

Zum anderen hatten und haben die Corona-Maßnahmen und deren Konsequenzen nach wie vor große Auswirkungen auf junge Menschen. Das Gefühl der Hilflosigkeit und des Nicht-Gehört-Werdens auf ganz vielen Ebenen ist eine davon. Auch muss man darauf schauen, wie Jugendpolitik in den letzten 10, 15 Jahren von den Parteien umgesetzt wurde.

Zum ersten Mal durften bei einer Europawahl auch Menschen ab 16 Jahren abstimmen. Wie sind diese jungen Erstwähler überhaupt zu erreichen?

Es geht ja nicht nur darum, wie wir junge Menschen für Politik begeistern können, sondern darum, wie wir ihnen wieder Zugänge zu Politik jenseits von Parteipolitik geben können. Wenn junge Menschen einen Schritt vor ihre Haustür setzen, dann sind sie bereits Teil eines politischen Systems. Und da treffen sie auf Dinge, die seit Jahren so gesetzt zu sein scheinen: Wie wird der Politikunterricht in der Schule gemacht? Oder wie wird die Jugendarbeit gestaltet? 

Uns fehlen die Orte und Instrumente der niedrigschwelligen Begegnung, um auch unterschiedliche Meinungen und Haltungen auszuhalten und diskutieren zu können. Das findet für viele, nicht nur junge Menschen so nicht mehr statt.

Wie können die Kirchen und Verbände junge Wähler*innen erreichen, damit die Ränder nicht weiter erstarken?

Als Kirche sind wir da zurecht sehr angreifbar, was die inkonsequente Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt und der Rolle der Frau angeht. Ich finde, es ist wichtig, dass wir uns immer wieder fragen: Wo sind wir denn selbst ein authentischer Partner für die Diskussion mit Menschen? 

Genereller gefragt: Wie können wir als Gesellschaft junge Menschen erreichen?

Wir müssen Jugendpolitik als Querschnitt in allen Bereichen mitdenken. Wir können nicht mehr länger warten mit der Sanierung des Bildungssystems, wir können nicht mehr länger damit warten, Infrastruktur zu verbessern. Wir können auch nicht länger damit warten, Kommunen alleine zu lassen mit der Frage nach Migration und Asyl. Das heißt aber in der Konsequenz nicht, dass wir die Grenzen schließen, sondern gemeinsam an Lösungen arbeiten. 

Wir müssen wieder eine Art von Vertrauen herstellen und Aktionen zeigen, statt im Klein-Klein zu verharren. Ich bin da beim Soziologen Aladin El-Mafaalani: Es braucht einen 100-Milliarden-Pakt für die Bildung. Schulische wie auch außerschulische Bildung. Das ist der erste Schritt.

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